Kant: AA II, Versuch über die Krankheiten ... , Seite 269

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 eines Gestörten heißt überhaupt die Tobsucht. Der Tobsüchtige, in      
  02 so fern er unsinnig ist, ist toll.      
           
  03 Der Mensch im Zustande der Natur kann nur wenig Thorheiten und      
  04 schwerlich einiger Narrheit unterworfen sein. Seine Bedürfnisse halten      
  05 ihn jederzeit nahe an der Erfahrung und geben seinem gesunden Verstande      
  06 eine so leichte Beschäftigung, daß er kaum bemerkt, er habe zu seinen      
  07 Handlungen Verstand nöthig. Seinen groben und gemeinen Begierden      
  08 giebt die Trägheit eine Mäßigung, welche der wenigen Urtheilskraft, die      
  09 er bedarf, Macht genug läßt, über sie seinem größten Vortheile gemäß zu      
  10 herrschen. Wo sollte er wohl zur Narrheit Stoff hernehmen, da er, um      
  11 anderer Urtheil unbekümmert, weder eitel noch aufgeblasen sein kann?      
  12 Indem er von dem Werthe ungenossener Güter gar keine Vorstellung hat,      
  13 so ist er vor der Ungereimtheit der filzigen Habsucht gesichert, und weil      
  14 in seinen Kopf niemals einiger Witz Eingang findet, so ist er eben so wohl      
  15 gegen allen Aberwitz gut verwahrt. Gleichergestalt kann die Störung des      
  16 Gemüths in diesem Stande der Einfalt nur selten statt finden. Wenn      
  17 das Gehirn des Wilden einigen Anstoß erlitten hätte, so weiß ich nicht,      
  18 wo die Phantasterei herkommen sollte, um die gewöhnliche Empfindungen,      
  19 die ihn allein unablässig beschäftigen, zu verdrängen. Welcher Wahnsinn      
  20 kann ihm wohl anwandeln, da er niemals Ursache hat, sich in seinem Urtheile      
  21 weit zu versteigen? Der Wahnwitz aber ist gewiß ganz und gar      
  22 über seine Fähigkeit. Er wird, wenn er im Kopfe krank ist, entweder blödsinnig      
  23 oder toll sein, und auch dieses muß höchst selten geschehen, denn er      
  24 ist mehrentheils gesund, weil er frei ist und Bewegung hat. In der bürgerlichen      
  25 Verfassung finden sich eigentlich die Gährungsmittel zu allem      
  26 diesem Verderben, die, wenn sie es gleich nicht hervorbringen, gleichwohl      
  27 es zu unterhalten und zu vergrößeren dienen. Der Verstand, in so fern      
  28 er zu den Nothwendigkeiten und den einfältigen Vergnügungen des Lebens      
  29 zureicht, ist ein gesunder Verstand, in wie fern er aber zu der gekünstelten      
  30 Üppigkeit, es sei im Genusse oder in den Wissenschaften, erfordert wird,      
  31 ist der feine Verstand. Der gesunde Verstand des Bürgers wäre also      
  32 schon ein sehr feiner Verstand für den natürlichen Menschen, und die Begriffe,      
  33 die in gewissen Ständen einen feinen Verstand voraussetzen, schicken      
  34 sich nicht mehr für diejenigen, welche der Einfalt der Natur zum wenigsten      
  35 in Einsichten näher sind, und machen, wenn sie zu diesen übergehen, aus      
  36 ihnen gemeiniglich Narren. Der Abt Terrasson unterscheidet irgendwo      
  37 die von gestörtem Gemüthe in solche, welche aus falschen Vorstellungen      
           
     

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