Kant: AA II, Versuch über die Krankheiten ... , Seite 267 |
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01 | der alten Staaten bestand darin, die Bürger für die Empfindung der | ||||||
02 | öffentlichen Wohlfahrt zu Phantasten zu machen. Wer durch eine moralische | ||||||
03 | Empfindung als durch einen Grundsatz mehr erhitzt wird, als | ||||||
04 | es andere nach ihrem matten und öfters unedlen Gefühl sich vorstellen | ||||||
05 | können, ist in ihrer Vorstellung ein Phantast. Ich stelle den | ||||||
06 | Aristides unter Wucherer, den Epiktet unter Hofleute und den Johann | ||||||
07 | Jacob Rousseau unter die Doctoren der Sorbonne. Mich deucht, ich | ||||||
08 | höre ein lautes Hohngelächter, und hundert Stimmen rufen: Welche | ||||||
09 | Phantasten! Dieser zweideutige Anschein von Phantasterei in an sich | ||||||
10 | guten, moralischen Empfindungen ist der Enthusiasmus, und es ist | ||||||
11 | niemals ohne denselben in der Welt etwas Großes ausgerichtet worden. | ||||||
12 | Ganz anders ist es mit dem Fanatiker (Visionär, Schwärmer) bewandt. | ||||||
13 | Dieser ist eigentlich ein Verrückter von einer vermeinten unmittelbaren | ||||||
14 | Eingebung und einer großen Vertraulichkeit mit den Mächten | ||||||
15 | des Himmels. Die menschliche Natur kennt kein gefährlicheres Blendwerk. | ||||||
16 | Wenn der Ausbruch davon neu ist, wenn der betrogene Mensch Talente | ||||||
17 | hat und der große Haufe vorbereitet ist dieses Gährungsmittel innigst | ||||||
18 | aufzunehmen, alsdann erduldet bisweilen sogar der Staat Verzuckungen. | ||||||
19 | Die Schwärmerei führt den Begeisterten auf das Äußerste, den Mahomet | ||||||
20 | auf den Fürstenthron und den Johann von Leyden aufs Blutgerüst. | ||||||
21 | Ich kann noch in gewisser Maße zu der Verkehrtheit des Kopfes, so fern | ||||||
22 | dieselbe die Erfahrungsbegriffe betrifft, das gestörte Erinnerungsvermögen | ||||||
23 | zählen. Denn dieses täuscht den Elenden, der damit angefochten | ||||||
24 | ist, durch eine chimärische Vorstellung, wer weiß was für eines vormaligen | ||||||
25 | Zustandes, der wirklich niemals gewesen ist. Derjenige, welcher von den | ||||||
26 | Gütern redet, die er ehedem besessen haben will, oder von dem Königreiche, | ||||||
27 | das er gehabt hat, und sich übrigens in Ansehung seines jetzigen | ||||||
28 | Zustandes nicht merklich betrügt, ist ein Verrückter in Ansehung der Erinnerung. | ||||||
29 | Der bejahrte Murrkopf, welcher fest glaubt, daß in seiner Jugend | ||||||
30 | die Welt viel ordentlicher und die Menschen besser gewesen wären, ist | ||||||
31 | ein Phantast in Ansehung der Erinnerung. | ||||||
32 | Bis dahin nun ist in dem gestörten Kopfe die Verstandeskraft eigentlich | ||||||
33 | nicht angegriffen, zum wenigsten ists nicht nothwendig, daß sie es | ||||||
34 | sei; denn der Fehler steckt eigentlich nur in den Begriffen, die Urtheile | ||||||
35 | selber, wenn man die verkehrte Empfindung als wahr annehmen wollte, | ||||||
36 | können ganz richtig, so sogar ungemein vernünftig sein. Eine Störung des | ||||||
37 | Verstandes dagegen besteht darin: daß man aus allenfalls richtigen Erfahrungen | ||||||
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