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Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 246 |
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01 |
Der Franzose hat ein herrschendes Gefühl für das moralisch |
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Schöne. Er ist artig, höflich und gefällig. Er wird sehr geschwinde vertraulich, |
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ist scherzhaft und frei im Umgange, und der Ausdruck ein Mann |
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oder eine Dame von gutem Tone hat nur eine verständliche Bedeutung |
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für den, der das artige Gefühl eines Franzosen erworben hat. Selbst |
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seine erhabene Empfindungen, deren er nicht wenige hat, sind dem Gefühle |
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des Schönen untergeordnet und bekommen nur ihre Stärke durch |
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die Zusammenstimmung mit dem letzteren. Er ist sehr gerne witzig und |
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wird einem Einfalle ohne Bedenken etwas von der Wahrheit aufopfern. |
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Dagegen, wo man nicht witzig sein kann,*) zeigt er eben so wohl gründliche |
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Einsicht, als jemand aus irgend einem andern Volke z. E. in der |
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Mathematik und in den übrigen trockenen oder tiefsinnigen Künsten und |
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Wissenschaften. Ein Bon Mot hat bei ihm nicht den flüchtigen Werth |
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als anderwärts, es wird begierig verbreitet und in Büchern aufbehalten, |
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wie die wichtigste Begebenheit. Er ist ein ruhiger Bürger und rächt sich |
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wegen der Bedrückungen der Generalpächter durch Satiren, oder durch |
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Parlaments=Remonstrationen, welche, nachdem sie ihrer Absicht gemäß |
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den Vätern des Volks ein schönes patriotisches Ansehen gegeben haben, |
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nichts weiter thun, als daß sie durch eine rühmliche Verweisung gekrönt |
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und in sinnreichen Lobgedichten besungen werden. Der Gegenstand, auf |
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welchen sich die Verdienste und Nationalfähigkeiten dieses Volks am meisten |
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beziehen, ist das Frauenzimmer.**) Nicht als wenn es hier mehr als |
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*) In der Metaphysik, der Moral und den Lehren der Religion kann man bei den Schriften dieser Nation nicht behutsam genug sein. Es herrscht darin gemeiniglich viel schönes Blendwerk, welches in einer kalten Untersuchung die Probe nicht hält. Der Franzose liebt das Kühne in seinen Aussprüchen; allein um zur Wahrheit zu gelangen, muß man nicht kühn, sondern behutsam sein. In der Geschichte hat er gerne Anekdoten, denen nichts weiter fehlt, als daß zu wünschen ist, daß sie nur wahr wären. |
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**) Das Frauenzimmer giebt in Frankreich allen Gesellschaften und allem Umgange den Ton. Nun ist wohl nicht zu läugnen, daß die Gesellschaften ohne das schöne Geschlecht ziemlich schmacklos und langweilig sind; allein wenn die Dame darin den schönen Ton angiebt, so sollte der Mann seinerseits den edlen angeben. Widrigenfalls wird der Umgang eben so wohl langweilig, aber aus einem entgegengesetzten Grunde: weil nichts so sehr verekelt als lauter Süßigkeit. Nach dem französischen Geschmacke heißt es nicht: Ist der Herr zu Hause?, sondern: Ist Madame zu Hause? Madame ist vor der Toilette, Madame hat Vapeurs (eine Art schöner Grillen); kurz, mit Madame und von Madame beschäftigen sich alle Unterredungen und alle Lustbarkeiten. [Seitenumbruch] Indessen das Frauenzimmer dadurch gar nicht mehr geehrt. Ein Mensch, welcher tändelt, ist jederzeit ohne Gefühl sowohl der wahren Achtung als auch der zärtlichen Liebe. Ich möchte wohl, um wer weiß wie viel, dasjenige nicht gesagt haben, was Rousseau so verwegen behauptet: daß ein Frauenzimmer niemals etwas mehr als ein großes Kind werde. Allein der scharfsichtige Schweizer schrieb dieses in Frankreich, und vermuthlich empfand er es als ein so großer Vertheidiger des schönen Geschlechts mit Entrüstung, daß man demselben nicht mit mehr wirklicher Achtung daselbst begegnet. |
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