Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 247 |
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01 | anderwärts geliebt oder geschätzt würde, sondern weil es die beste Veranlassung | ||||||
02 | giebt die beliebteste Talente des Witzes, der Artigkeit und der | ||||||
03 | guten Manieren in ihrem Lichte zu zeigen; übrigens liebt eine eitele Person | ||||||
04 | eines jeden Geschlechts jederzeit nur sich selbst; die andere ist blos ihr | ||||||
05 | Spielwerk. Da es den Franzosen an edlen Eigenschaften gar nicht gebricht, | ||||||
06 | nur daß diese durch die Empfindung des Schönen allein können | ||||||
07 | belebt werden, so würde das schöne Geschlecht hier einen mächtigern Einfluß | ||||||
08 | haben können, die edelste Handlungen des männlichen zu erwecken | ||||||
09 | und rege zu machen, als irgend sonst in der Welt, wenn man bedacht | ||||||
10 | wäre, diese Richtung des Nationalgeistes ein wenig zu begünstigen. Es | ||||||
11 | ist schade, daß die Lilien nicht spinnen. | ||||||
12 | Der Fehler, woran dieser Nationalcharakter am nächsten gränzt, ist | ||||||
13 | das Läppische, oder mit einem höflicheren Ausdrucke das Leichtsinnige. | ||||||
14 | Wichtige Dinge werden als Spaße behandelt, und Kleinigkeiten dienen | ||||||
15 | zur ernsthaftesten Beschäftigung. Im Alter singt der Franzose alsdann | ||||||
16 | noch lustige Lieder und ist, so viel er kann, auch galant gegen das Frauenzimmer. | ||||||
17 | Bei diesen Anmerkungen habe ich große Gewährsmänner aus | ||||||
18 | eben derselben Völkerschaft auf meiner Seite und ziehe mich hinter einen | ||||||
19 | Montesquieu und D'Alembert, um wider jeden besorglichen Unwillen | ||||||
20 | sicher zu sein. | ||||||
21 | Der Engländer ist im Anfange einer jeden Bekanntschaft kaltsinnig | ||||||
22 | und gegen einen Fremden gleichgültig. Er hat wenig Neigung zu kleinen | ||||||
23 | Gefälligkeiten; dagegen wird er, so bald er ein Freund ist, zu großen | ||||||
24 | Dienstleistungen auferlegt. Er bemüht sich wenig im Umgange witzig zu | ||||||
25 | sein, oder einen artigen Anstand zu zeigen, dagegen ist er verständig und | ||||||
26 | gesetzt. Er ist ein schlechter Nachahmer, frägt nicht viel darnach, was andere | ||||||
27 | urtheilen, und folgt lediglich seinem eigenen Geschmacke. Er ist in | ||||||
28 | Verhältniß auf das Frauenzimmer nicht von französischer Artigkeit, aber | ||||||
29 | bezeigt gegen dasselbe weit mehr Achtung und treibt diese vielleicht zu weit, | ||||||
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