Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 244 |
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01 | der zweiten dem Engländer und der dritten dem Deutschen beilegen zu | ||||||
02 | können. Das Gefühl fürs Prächtige ist seiner Natur nach nicht original, | ||||||
03 | so wie die übrigen Arten des Geschmacks, und obgleich ein Nachahmungsgeist | ||||||
04 | mit jedem andern Gefühl kann verbunden sein, so ist er doch dem | ||||||
05 | für das Schimmernd=Erhabene mehr eigen, denn es ist dieses eigentlich | ||||||
06 | ein gemischtes Gefühl aus dem des Schönen und des Edlen, wo jedes, für | ||||||
07 | sich betrachtet, kälter ist, und daher das Gemüth frei genug ist, bei der | ||||||
08 | Verknüpfung desselben auf Beispiele zu merken, und auch deren Antrieb | ||||||
09 | vonnöthen hat. Der Deutsche wird demnach weniger Gefühl in Ansehung | ||||||
10 | des Schönen haben als der Franzose und weniger von demjenigen, was | ||||||
11 | auf das Erhabene geht, als der Engländer, aber in den Fällen, wo beides | ||||||
12 | verbunden erscheinen soll, wird es seinem Gefühl mehr gemäß sein, | ||||||
13 | wie er denn auch die Fehler glücklich vermeiden wird, in die eine ausschweifende | ||||||
14 | Stärke einer jeden dieser Arten des Gefühls allein gerathen | ||||||
15 | könnte. | ||||||
16 | Ich berühre nur flüchtig die Künste und die Wissenschaften, deren | ||||||
17 | Wahl den Geschmack der Nationen bestätigen kann, welchen wir ihnen beigemessen | ||||||
18 | haben. Das italiänische Genie hat sich vornehmlich in der Tonkunst, | ||||||
19 | der Malerei, Bildhauerkunst und der Architektur hervorgethan. | ||||||
20 | Alle diese schöne Künste finden einen gleich feinen Geschmack in Frankreich | ||||||
21 | für sich, obgleich die Schönheit derselben hier weniger rührend ist. | ||||||
22 | Der Geschmack in Ansehung der dichterischen oder rednerischen Vollkommenheit | ||||||
23 | fällt in Frankreich mehr in das Schöne, in England mehr in das | ||||||
24 | Erhabene. Die feine Scherze, das Lustspiel, die lachende Satire, das verliebte | ||||||
25 | Tändeln und die leicht und natürlich fließende Schreibart sind dort | ||||||
26 | original. In England dagegen Gedanken von tiefsinnigem Inhalt, das | ||||||
27 | Trauerspiel, das epische Gedicht und überhaupt schweres Gold von Witze, | ||||||
28 | welches unter französischem Hammer zu dünnen Blättchen von großer | ||||||
29 | Oberfläche kann gedehnt werden. In Deutschland schimmert der Witz | ||||||
30 | noch sehr durch die Folie. Ehedem war er schreiend, durch Beispiele aber | ||||||
31 | und den Verstand der Nation ist er zwar reizender und edler geworden, | ||||||
32 | aber jenes mit weniger Naivetät, dieses mit einem minder kühnen | ||||||
33 | Schwunge, als in den erwähnten Völkerschaften. Der Geschmack der holländischen | ||||||
34 | Nation an einer peinlichen Ordnung und einer Zierlichkeit, die | ||||||
35 | in Bekümmerniß und Verlegenheit setzt, läßt auch wenig Gefühl in Ansehung | ||||||
36 | der ungekünstelten und freien Bewegungen des Genies vermuthen, | ||||||
37 | dessen Schönheit durch die ängstliche Verhütung der Fehler nur würde | ||||||
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