Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 243 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Kunst darin besteht, noch genugsame Reste von jenen zu erhalten, damit | ||||||
02 | Gleichgültigkeit und Überdruß nicht den ganzen Werth des Vergnügens | ||||||
03 | aufheben, um dessentwillen es einzig und allein verlohnt hat eine solche | ||||||
04 | Verbindung einzugehen. | ||||||
05 | Vierter Abschnitt. |
||||||
06 | Von den Nationalcharaktern,*) in so fern sie auf dem unterschiedlichen |
||||||
07 | Gefühl des Erhabenen und Schönen beruhen. |
||||||
08 | Unter den Völkerschaften unseres Welttheils sind meiner Meinung | ||||||
09 | nach die Italiäner und Franzosen diejenige, welche im Gefühl des | ||||||
10 | Schönen, die Deutsche aber, Engländer und Spanier, die durch | ||||||
11 | das Gefühl des Erhabenen sich unter allen übrigen am meisten ausnehmen. | ||||||
12 | Holland kann für dasjenige Land gehalten werden, wo dieser | ||||||
13 | feinere Geschmack ziemlich unmerklich wird. Das Schöne selbst ist entweder | ||||||
14 | bezaubernd und rührend, oder lachend und reizend. Das erstere hat | ||||||
15 | etwas von dem Erhabenen an sich, und das Gemüth in diesem Gefühl ist | ||||||
16 | tiefsinnig und entzückt, in dem Gefühl der zweiten Art aber lächlend und | ||||||
17 | fröhlich. Den Italiänern scheint die erstere, den Franzosen die zweite Art | ||||||
18 | des schönen Gefühls vorzüglich angemessen zu sein. In dem Nationalcharaktere, | ||||||
19 | der den Ausdruck des Erhabenen an sich hat, ist dieses entweder | ||||||
20 | das von der schreckhaftern Art, das sich ein wenig zum Abenteuerlichen | ||||||
21 | neigt, oder es ist ein Gefühl für das Edle, oder für das Prächtige. | ||||||
22 | Ich glaube Gründe zu haben das Gefühl der ersteren Art dem Spanier, | ||||||
*) Meine Absicht ist gar nicht, die Charaktere der Völkerschaften ausführlich zu schildern, sondern ich entwerfe nur einige Züge, die das Gefühl des Erhabenen und Schönen an ihnen ausdrücken. Man kann leicht erachten, daß an dergleichen Zeichnung nur eine leidliche Richtigkeit könne verlangt werden, daß die Urbilder davon nur in dem großen Haufen derjenigen, die auf ein feineres Gefühl Anspruch machen, hervorstechen, und daß es keiner Nation an Gemüthsarten fehle, welche die vortrefflichste Eigenschaften von dieser Art vereinbaren. Um deswillen kann der Tadel, der gelegentlich auf ein Volk fallen möchte, keinen beleidigen, wie er denn von solcher Natur ist, daß ein jeglicher ihn wie einen Ball auf seinen Nachbar schlagen kann. Ob diese Nationalunterschiede zufällig seien und von den Zeitläuften und der Regierungsart abhängen, oder mit einer gewissen Nothwendigkeit an das Klima gebunden seien, das untersuche ich hier nicht. | |||||||
[ Seite 242 ] [ Seite 244 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |