Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 218

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Grundsätzen beruht, die ächte Tugend. Jene sind schön und reizend,      
  02 diese allein ist erhaben und ehrwürdig. Man nennt ein Gemüth, in welchem      
  03 die erstere Empfindungen regieren, ein gutes Herz und den Menschen      
  04 von solcher Art gutherzig; dagegen man mit Recht dem Tugendhaften      
  05 aus Grundsätzen ein edles Herz beilegt, ihn selber aber einen      
  06 rechtschaffenen nennt. Diese adoptirte Tugenden haben gleichwohl mit      
  07 den wahren Tugenden große Ähnlichkeit, indem sie das Gefühl einer unmittelbaren      
  08 Lust an gütigen und wohlwollenden Handlungen enthalten.      
  09 Der Gutherzige wird ohne weitere Absicht aus unmittelbarer Gefälligkeit      
  10 friedsam und höflich mit euch umgehen und aufrichtiges Beileid bei der      
  11 Noth eines andern empfinden.      
           
  12 Allein da diese moralische Sympathie gleichwohl noch nicht genug ist,      
  13 die träge menschliche Natur zu gemeinnützigen Handlungen anzutreiben,      
  14 so hat die Vorsehung in uns noch ein gewisses Gefühl gelegt, welches fein      
  15 ist und uns in Bewegung setzen, oder auch dem gröberen Eigennutze und      
  16 der gemeinen Wollust das Gleichgewicht leisten kann. Dieses ist das Gefühl      
  17 für Ehre und dessen Folge die Scham. Die Meinung, die andere      
  18 von unserm Werthe haben mögen, und ihr Urtheil von unsern Handlungen      
  19 ist ein Bewegungsgrund von großem Gewichte, der uns manche Aufopferungen      
  20 ablockt, und was ein guter Theil der Menschen weder aus einer      
  21 unmittelbar aufsteigenden Regung der Gutherzigkeit, noch aus Grundsätzen      
  22 würde gethan haben, geschieht oft genug bloß um des äußeren      
  23 Scheines willen aus einem Wahne, der sehr nützlich, obzwar an sich selbst      
  24 sehr seicht ist, als wenn das Urtheil anderer den Werth von uns und unsern      
  25 Handlungen bestimmte. Was aus diesem Antriebe geschieht, ist nicht im      
  26 mindesten tugendhaft, weswegen auch ein jeder, der für einen solchen gehalten      
  27 werden will, den Bewegungsgrund der Ehrbegierde wohlbedächtig      
  28 verhehlt. Es ist auch diese Neigung nicht einmal so nahe wie die Gutherzigkeit      
  29 der ächten Tugend verwandt, weil sie nicht unmittelbar durch      
  30 die Schönheit der Handlungen, sondern durch den in fremde Augen fallenden      
  31 Anstand derselben bewegt werden kann. Ich kann demnach, da gleichwohl      
  32 das Gefühl für Ehre fein ist, das Tugendähnliche, was dadurch veranlaßt      
  33 wird, den Tugendschimmer nennen.      
           
  34 Vergleichen wir die Gemüthsarten der Menschen, in so fern eine von      
  35 diesen drei Gattungen des Gefühls in ihnen herrscht und den moralischen      
  36 Charakter bestimmt, so finden wir, daß eine jede derselben mit einem der      
  37 gewöhnlichermaßen eingetheilten Temperamente in näherer Verwandtschaft      
           
     

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