Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 217

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihr Schranken setzen und sie schwächen, alle Laster daraus entspringen      
  02 können. Denn nicht zu gedenken, daß diese Gefälligkeit gegen die, mit      
  03 welchen wir umgehen, sehr oft eine Ungerechtigkeit gegen andre ist, die      
  04 sich außer diesem kleinen Zirkel befinden, so wird ein solcher Mann, wenn      
  05 man diesen Antrieb allein nimmt, alle Laster haben können, nicht aus unmittelbarer      
  06 Neigung, sondern weil er gerne zu gefallen lebt. Er wird aus      
  07 liebreicher Geselligkeit ein Lügner, ein Müßiggänger, ein Säufer etc. etc. sein,      
  08 denn er handelt nicht nach den Regeln, die auf das Wohlverhalten überhaupt      
  09 gehen, sondern nach einer Neigung, die an sich schön, aber, indem      
  10 sie ohne Haltung und ohne Grundsätze ist, läppisch wird.      
           
  11 Demnach kann wahre Tugend nur auf Grundsätze gepfropft werden,      
  12 welche, je allgemeiner sie sind, desto erhabener und edler wird sie. Diese      
  13 Grundsätze sind nicht speculativische Regeln, sondern das Bewußtsein eines      
  14 Gefühls, das in jedem menschlichen Busen lebt und sich viel weiter als      
  15 auf die besondere Gründe des Mitleidens und der Gefälligkeit erstreckt.      
  16 Ich glaube, ich fasse alles zusammen, wenn ich sage, es sei das Gefühl      
  17 von der Schönheit und der Würde der menschlichen Natur. Das      
  18 erstere ist ein Grund der allgemeinen Wohlgewogenheit, das zweite der      
  19 allgemeinen Achtung, und wenn dieses Gefühl die größte Vollkommenheit      
  20 in irgend einem menschlichen Herzen hätte, so würde dieser Mensch sich      
  21 zwar auch selbst lieben und schätzen, aber nur in so fern er einer von allen      
  22 ist, auf die sein ausgebreitetes und edles Gefühl sich ausdehnt. Nur indem      
  23 man einer so erweiterten Neigung seine besondere unterordnet, können      
  24 unsere gütige Triebe proportionirt angewandt werden und den edlen Anstand      
  25 zuwege bringen, der die Schönheit der Tugend ist.      
           
  26 In Ansehung der Schwäche der menschlichen Natur und der geringen      
  27 Macht, welche das allgemeine moralische Gefühl über die mehrste Herzen      
  28 ausüben würde, hat die Vorsehung dergleichen hülfleistende Triebe als      
  29 Supplemente der Tugend in uns gelegt, die, indem sie einige auch ohne      
  30 Grundsätze zu schönen Handlungen bewegen, zugleich andern, die durch      
  31 diese letztere regiert werden, einen größeren Stoß und einen stärkern Antrieb      
  32 dazu geben können. Mitleiden und Gefälligkeit sind Gründe von      
  33 schönen Handlungen, die vielleicht durch das Übergewicht eines gröberen      
  34 Eigennutzes insgesammt würden erstickt werden, allein nicht unmittelbare      
  35 Gründe der Tugend, die wir gesehen haben, obgleich, da sie durch die Verwandtschaft      
  36 mit ihr geadelt werden, sie auch ihren Namen erwerben. Ich      
  37 kann sie daher adoptirte Tugenden nennen, diejenige aber, die auf      
           
     

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