Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 215

     
           
 

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  01 der letztern aus einem verkehrten Begriff des Ehrenrufs, sind Fratzen.      
  02 Schwermüthige Entfernung von dem Geräusche der Welt aus einem rechtmäßigen      
  03 Überdrusse ist edel. Der alten Eremiten einsiedlerische Andacht      
  04 war abenteuerlich. Klöster und dergleichen Gräber, um lebendige Heilige      
  05 einzusperren, sind Fratzen. Bezwingung seiner Leidenschaften durch      
  06 Grundsätze ist erhaben. Kasteiungen, Gelübde und andere Mönchstugenden      
  07 mehr sind Fratzen. Heilige Knochen, heiliges Holz und aller dergleichen      
  08 Plunder, den heiligen Stuhlgang des großen Lama von Tibet      
  09 nicht ausgeschlossen, sind Fratzen. Von den Werken des Witzes und des      
  10 feinen Gefühls fallen die epische Gedichte des Virgils und Klopstocks ins      
  11 Edle, Homers und Miltons ins Abenteuerliche. Die Verwandelungen      
  12 des Ovids sind Fratzen, die Feenmärchen des französischen Aberwitzes      
  13 sind die elendesten Fratzen, die jemals ausgeheckt worden. Anakreontische      
  14 Gedichte sind gemeiniglich sehr nahe beim Läppischen.      
           
  15 Die Werke des Verstandes und Scharfsinnigkeit, in so fern ihre      
  16 Gegenstände auch etwas für das Gefühl enthalten, nehmen gleichfalls      
  17 einigen Antheil an den gedachten Verschiedenheiten. Die mathematische      
  18 Vorstellung von der unermeßlichen Größe des Weltbaues, die Betrachtungen      
  19 der Metaphysik von der Ewigkeit, der Vorsehung, der Unsterblichkeit      
  20 unserer Seele erhalten eine gewisse Erhabenheit und Würde. Hingegen      
  21 wird die Weltweisheit auch durch viel Leere Spitzfindigkeiten entstellt,      
  22 und der Anschein der Gründlichkeit hindert nicht, daß die vier syllogistischen      
  23 Figuren nicht zu Schulfratzen gezählt zu werden verdienten.      
           
  24 In moralischen Eigenschaften ist wahre Tugend allein erhaben. Es      
  25 giebt gleichwohl gute sittliche Qualitäten, die liebenswürdig und schön      
  26 sind und, in so fern sie mit der Tugend harmoniren, auch als edel angesehen      
  27 werden, ob sie gleich eigentlich nicht zur tugendhaften Gesinnung      
  28 gezählt werden können. Das Urtheil hierüber ist fein und verwickelt.      
  29 Man kann gewiß die Gemüthsverfassung nicht tugendhaft nennen, die ein      
  30 Quell solcher Handlungen ist, auf welche zwar auch die Tugend hinauslaufen      
  31 würde, allein aus einem Grunde, der nur zufälliger Weise damit      
  32 übereinstimmt, seiner Natur nach aber den allgemeinen Regeln der Tugend      
  33 auch öfters widerstreiten kann. Eine gewisse Weichmüthigkeit, die leichtlich      
  34 in ein warmes Gefühl des Mitleidens gesetzt wird, ist schön und      
  35 liebenswürdig; denn es zeigt eine gütige Theilnehmung an dem Schicksale      
  36 anderer Menschen an, worauf Grundsätze der Tugend gleichfalls hinausführen.      
  37 Allein diese gutartige Leidenschaft ist gleichwohl schwach und      
           
     

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