Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 201 |
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| 01 | Um deswillen ist das Gefühl der Unlust kein Prädicat, welches der Gottheit | ||||||
| 02 | geziemend ist. Der Mensch hat niemals eine Begierde zu einem Gegenstande, | ||||||
| 03 | ohne das Gegentheil positiv zu verabscheuen, d. i. nicht allein | ||||||
| 04 | so, daß die Beziehung seines Willens das contradictorische Gegentheil der | ||||||
| 05 | Begierde, sondern ihr Realentgegengesetztes (Abscheu), nämlich eine Folge | ||||||
| 06 | aus positiver Unlust, ist. Bei jeder Begierde, die ein treuer Führer hat | ||||||
| 07 | seinen Schüler wohl zu ziehen, ist ein jeder Erfolg, der seinem Begehren | ||||||
| 08 | nicht gemäß ist, ihm positiv entgegen und ein Grund der Unlust. Die | ||||||
| 09 | Verhältnisse der Gegenstände auf den göttlichen Willen sind von ganz | ||||||
| 10 | anderer Art. Eigentlich ist kein äußeres Ding ein Grund weder der Lust | ||||||
| 11 | noch Unlust in demselben; denn er hängt nicht im mindesten von etwas | ||||||
| 12 | anderm ab, und es wohnt dem durch sich selbst Seligen nicht diese reine | ||||||
| 13 | Lust bei, weil das Gute außer ihm existirt, sondern es existirt dieses Gute | ||||||
| 14 | darum, weil die ewige Vorstellung seiner Möglichkeit und die damit verbundene | ||||||
| 15 | Lust ein Grund der vollzogenen Begierde ist. Wenn man die | ||||||
| 16 | concrete Vorstellung von der Natur des Begehrens alles Erschaffenen hiemit | ||||||
| 17 | vergleicht, so wird man gewahr, daß der Wille des Unerschaffenen | ||||||
| 18 | wenig Ähnliches damit haben könne; welches denn auch in Ansehung der | ||||||
| 19 | übrigen Bestimmungen demjenigen nicht unerwartet sein wird, welcher | ||||||
| 20 | dieses wohl faßt, daß der Unterschied in der Qualität unermeßlich sein | ||||||
| 21 | müsse, wenn man Dinge vergleicht, deren die einen für sich selbst Nichts | ||||||
| 22 | sind, das andre aber dasjenige, durch welches allein Alles ist. | ||||||
| 23 | Allgemeine Anmerkung. |
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| 24 | Da der gründlichen Philosophen, wie sie sich selbst nennen, täglich | ||||||
| 25 | mehr werden, indem sie so tief in alle Sachen einschauen, daß ihnen | ||||||
| 26 | auch nichts verborgen bleibt, was sie nicht erklären und begreifen könnten, | ||||||
| 27 | so sehe ich schon voraus, daß der Begriff der Realentgegensetzung, welcher | ||||||
| 28 | im Anfange dieser Abhandlung von mir zum Grunde gelegt worden, ihnen | ||||||
| 29 | sehr seicht und der Begriff der negativen Größen, der darauf gebauet | ||||||
| 30 | worden, nicht gründlich genug vorkommen werde. Ich, der ich aus der | ||||||
| 31 | Schwäche meiner Einsicht kein Geheimniß mache, nach welcher ich gemeiniglich | ||||||
| 32 | dasjenige am wenigsten begreife, was alle Menschen leicht zu | ||||||
| 33 | verstehen glauben, schmeichle mir durch mein Unvermögen ein Recht zu | ||||||
| 34 | dem Beistande dieser großen Geister zu haben, daß ihre hohe Weisheit | ||||||
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