Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 130 |
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01 | lassen sich sehr leicht einsehen; allein die Beziehung, die dessen Folge | ||||||
02 | auf Regelmäßigkeit und Vortheil hat, ist bis zur Bewunderung weitläuftig | ||||||
03 | und groß. Die Epicykloide, eine algebraische Krümmung, ist von | ||||||
04 | dieser Natur: daß Zähne und Getriebe, nach ihr abgerundet, die mindest | ||||||
05 | mögliche Reibung an einander erleiden. Der berühmte Herr Prof. Kästner | ||||||
06 | erwähnt an einem Orte: daß ihm von einem erfahrnen Bergwerksverständigen | ||||||
07 | an den Maschinen, die lange im Gebrauche gewesen, gezeigt | ||||||
08 | worden, daß sich wirklich diese Figur endlich durch lange Bewegung abschleife; | ||||||
09 | eine Figur, die eine ziemlich verwickelte Construction zum Grunde | ||||||
10 | hat, und die mit aller ihrer Regelmäßigkeit eine Folge von einem gemeinen | ||||||
11 | Gesetze der Natur ist. | ||||||
12 | Um etwas aus den schlechten Naturwirkungen anzuführen, was, indem | ||||||
13 | es unter dem eben erwähnten Gesetze steht, um deswillen einen Ausschlag | ||||||
14 | auf Regelmäßigkeit an sich zeigt, führe ich eine von den Wirkungen | ||||||
15 | der Flüsse an. Es ist wegen der großen Verschiedenheiten des Abschusses | ||||||
16 | aller Gegenden des festen Landes sehr zu erwarten, daß die Ströme, die | ||||||
17 | auf diesem Abhange laufen, hin und wieder steile Stürze und Wasserfälle | ||||||
18 | haben würden, deren auch wirklich einige, obzwar selten, vorkommen und | ||||||
19 | eine große Unregelmäßigkeit und Unbequemlichkeit enthalten. Allein es | ||||||
20 | fällt leicht in die Augen: daß, wenn gleich (wie zu vermuthen) in dem | ||||||
21 | ersten verwilderten Zustande dergleichen Wasserfälle häufig waren, dennoch | ||||||
22 | die Gewalt des Absturzes das lockere Erdreich, ja selbst einige noch nicht | ||||||
23 | genugsam gehärtete Felsarten werde eingegraben und weggewaschen haben, | ||||||
24 | bis der Strom seinen Rinnsal zu einem ziemlich gleichförmichten Abhang | ||||||
25 | gesenkt hatte, daher, wo auch noch Wasserfälle sind, der Boden felsicht ist | ||||||
26 | und in sehr viel Gegenden der Strom zwischen zwei steil abgeschnittenen | ||||||
27 | Ufern läuft, wozwischen er sein tiefliegendes Bette vermuthlich selbst eingeschnitten | ||||||
28 | hat. Man findet es sehr nützlich, daß fast alle Ströme in dem | ||||||
29 | größten Theile ihres Laufes einen gewissen Grad Geschwindigkeit nicht | ||||||
30 | überschreiten, der ziemlich mäßig ist und wodurch sie schiffbar sind. Obgleich | ||||||
31 | nun dieses im Anfange von der so sehr verschiedenen Abschießigkeit | ||||||
32 | des Bodens, worüber sie laufen, kaum allein ohne besondere Kunst zu erwarten | ||||||
33 | stände, so läßt sich doch leichtlich erachten, daß mit der Zeit ein | ||||||
34 | gewisser Grad der Schnelligkeit sich von selbst habe finden müssen, den sie | ||||||
35 | nicht leichtlich übertreffen können, der Boden des Landes mag abschießig | ||||||
36 | sein, wie er will, wenn er nur locker ist. Denn sie werden ihn so lange | ||||||
37 | abspühlen, sich hineinarbeiten und ihr Bette an einigen Orten senken, an | ||||||
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