Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 448 |
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| 01 | wir auf der Oberfläche der Erde verspüren, weit übertreffen wird, wenn | ||||||
| 02 | die Lage und Verknüpfung der Höhlen sich zu ihrer Ausbreitung anschickt. | ||||||
| 03 | Das Getöse, das bei dem Fortgange eines Erdbebens unter den Füßen | ||||||
| 04 | verspürt worden, ist vermuthlich keiner andern Ursache als eben dieser zuzuschreiben. | ||||||
| 06 | Eben dieses läßt uns wahrscheinlich vermuthen, daß eben nicht alle | ||||||
| 07 | Erdbeben dadurch verursacht werden, daß die Entzündung gerade unter | ||||||
| 08 | dem Boden geschieht, welcher erschüttert wird; sondern daß die Wuth dieser | ||||||
| 09 | unterirdischen Stürme das Gewölbe, welches über ihnen ist, in Bewegung | ||||||
| 10 | setzen könne, woran man desto weniger zweifeln wird, wenn man bedenkt: | ||||||
| 11 | daß eine viel dichtere Luft, als diejenige ist, die sich auf der Oberfläche | ||||||
| 12 | der Erde befindet, durch weit plötzlichere Ursachen als diese in Bewegung | ||||||
| 13 | gesetzt und, zwischen Gängen, die ihre Ausbreitung verhindern, verstärkt, | ||||||
| 14 | eine unerhörte Gewalt ausüben könne. Es ist also muthmaßlich, daß die | ||||||
| 15 | gringe Wankung des Bodens in dem größten Theil von Europa bei der | ||||||
| 16 | heftigen Entzündung, die am 1ten Nov. in der Erde vorging, vielleicht | ||||||
| 17 | von nichts als dieser gewaltsamer Weise bewegten unterirdischen Luft herzuleiten | ||||||
| 18 | sei, die als ein heftiger Sturmwind den Boden, der seiner Ausbreitung | ||||||
| 19 | Widerstand, gelinde erschütterte. | ||||||
| 20 | Von dem Herde der unterirdischen Entzündung und den Örtern, |
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| 21 | so den meisten und gefährlichsten Erdbeben unterworfen sind. |
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| 22 | Durch die Vergleichung der Zeit ersehen wir, daß der Entzündungsplatz | ||||||
| 23 | bei dem Erdbeben vom 1ten Nov. in dem Boden der See gewesen. | ||||||
| 24 | Der Tajo, der schon vor der Erschütterung aufschwoll, der Schwefel, den | ||||||
| 25 | Seefahrende mit dem Senkblei aus dem erschütterten Grunde brachten, | ||||||
| 26 | und die Heftigkeit der Stöße, die sie fühlten, bestätigen es. Die Geschichte | ||||||
| 27 | vormaliger Erdbeben giebt es auch deutlich zu erkennen, daß in dem Meeresgrunde | ||||||
| 28 | jederzeit die fürchterlichste Erschütterungen vorgefallen sind und | ||||||
| 29 | nächst diesem in den Örtern, welche an dem Seeufer oder nicht weit davon | ||||||
| 30 | entfernt liegen. Zum Beweise des ersteren führe ich die tobende Wuth an, | ||||||
| 31 | womit die unterirdische Entzündung oft neue Inseln aus dem Boden des | ||||||
| 32 | Meeres erhoben hat und z. E. im Jahr 1720 nahe bei der Insel St. Michäl, | ||||||
| 33 | einer von den azorischen, aus einer Tiefe von 60 Klafter durch den Auswurf | ||||||
| 34 | der Materie aus dem Grunde der See eine Insel auswarf, die 1 | ||||||
| 35 | Meile lang und etliche Klafter über dem Meere erhoben war. Die Insel | ||||||
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