Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 441 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | so groß annehmen, als wirs gethan haben, ohne daß es auf dem festen | ||||||
02 | Lande füglich hätte gespürt werden können, und dann fällt die Bewegung | ||||||
03 | der inländischen Seen um desto begreiflicher in die Augen. | ||||||
04 | Man wird sich also nicht mehr wundern, wenn alle inländische Seen | ||||||
05 | in der Schweiz, in Schweden, in Norwegen und in Deutschland, ohne eine | ||||||
06 | Erschütterung des Bodens zu fühlen, so unruhig und aufwallend erblickt | ||||||
07 | worden. Man findet es aber etwas außerordentlicher, daß gewisse Seen | ||||||
08 | bei dieser Unordnung gar versiegt sind, als der See bei Neuchatel, der bei | ||||||
09 | Como und der bei Meiningen, obgleich deren einige sich schon wieder mit | ||||||
10 | Wasser angefüllt haben. Diese Begebenheit aber ist nicht ohne Exempel. | ||||||
11 | Man hat einige Seen auf dem Erdboden, die ganz ordentlich sich zu gewissen | ||||||
12 | Zeiten durch verborgene Canäle verlaufen und zur gesetzten Zeit | ||||||
13 | wiederkommen. Der Zirknitzer See im Herzogthum Krain ist ein merkwürdiges | ||||||
14 | Beispiel hievon. Er hat in seinem Boden einige Löcher, durch | ||||||
15 | welche er aber nicht eher abfließt als um Jacobi, da er sich denn mit allen | ||||||
16 | Fischen plötzlich verläuft und, nachdem er 3 Monate lang seinen Boden | ||||||
17 | als einen guten Weide= und Ackerplatz trocken gelassen, gegen den Novembermonat | ||||||
18 | sich plötzlich wieder einfindet. Man erklärt diese Naturbegebenheit | ||||||
19 | sehr begreiflich durch die Vergleichung mit dem Diabetes der | ||||||
20 | Hydraulik. Allein in unsern vorhabenden Fällen kann man leicht erachten, | ||||||
21 | daß, da viele Seen durch unter ihrem Boden befindliche Qülladern Zuflu | ||||||
22 | bekommen, diese, die in den umliegenden Anhöhen ihren Ursprung | ||||||
23 | finden, nachdem die Wirkung der unterirdischen Erhitzung und Ausdämpfung | ||||||
24 | in den Höhlungen, welche ihre Wasserhälter sind, die Luft | ||||||
25 | verschlungen, in dieselbe dadurch müssen zurückgezogen worden sein und | ||||||
26 | selbst ein kräftiges Saugwerk abgegeben haben, den See mit hineinzuführen, | ||||||
27 | der nach hergestelltem Gleichgewichte der Luft seinen natürlichen | ||||||
28 | Ausgang wieder gesucht. Denn daß ein Landsee, wie die öffentliche Berichte | ||||||
29 | von dem zu Meiningen haben erklären wollen, durch die unterirdische | ||||||
30 | Gemeinschaft mit dem Meere unterhalten werde, weil er keinen äußerlichen | ||||||
31 | Zufluß von Bächen hat, ist sowohl wegen der dawider streitenden Gesetze | ||||||
32 | des Gleichgewichts, als auch wegen der Salzigkeit des Meerwassers einer | ||||||
33 | gar zu offenbaren Ungereimtheit ausgesetzt. | ||||||
34 | Die Erdbeben haben das schon als etwas Gewöhnliches an sich, daß | ||||||
35 | sie die Wasserqüllen in Unordnung bringen. Ich könnte hier ein ganz | ||||||
36 | Register von verstopften und an andern Orten ausgebrochenen Qüllen, | ||||||
37 | von recht hoch aus der Erde herausgeschossenem Springwasser und dergleichen | ||||||
[ Seite 440 ] [ Seite 442 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |