Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 314 |
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01 | so weiten Schritt in dem Chaos thut: allein die Sphäre der ausgebildeten | ||||||
02 | Natur ist unaufhörlich beschäftigt, sich auszubreiten. Die | ||||||
03 | Schöpfung ist nicht das Werk von einem Augenblicke. Nachdem sie | ||||||
04 | mit der Hervorbringung einer Unendlichkeit von Substanzen und Materie | ||||||
05 | den Anfang gemacht hat, so ist sie mit immer zunehmenden Graden | ||||||
06 | der Fruchtbarkeit die ganze Folge der Ewigkeit hindurch wirksam. Es | ||||||
07 | werden Millionen und ganze Gebürge von Millionen Jahrhunderten | ||||||
08 | verfließen, binnen welchen immer neue Welten und Weltordnungen | ||||||
09 | nach einander in den entfernten Weiten von dem Mittelpunkte der | ||||||
10 | Natur sich bilden und zur Vollkommenheit gelangen werden; sie werden | ||||||
11 | unerachtet der systematischen Verfassung, die unter ihren Theilen ist, | ||||||
12 | eine allgemeine Beziehung auf den Mittelpunkt erlangen, welcher der | ||||||
13 | erste Bildungspunkt und das Centrum der Schöpfung durch das Anziehungsvermögen | ||||||
14 | seiner vorzüglichen Masse geworden ist. Die Unendlichkeit | ||||||
15 | der künftigen Zeitfolge, womit die Ewigkeit unerschöpflich | ||||||
16 | ist, wird alle Räume der Gegenwart Gottes ganz und gar beleben | ||||||
17 | und in die Regelmäßigkeit, die der Trefflichkeit seines Entwurfes gemäß | ||||||
18 | ist, nach und nach versetzen; und wenn man mit einer kühnen | ||||||
19 | Vorstellung die ganze Ewigkeit, so zu sagen, in einem Begriffe zusammen | ||||||
20 | fassen könnte, so würde man auch den ganzen unendlichen | ||||||
21 | Raum mit Weltordnungen angefüllt und die Schöpfung vollendet ansehen | ||||||
22 | können. Weil aber in der That von der Zeitfolge der Ewigkeit | ||||||
23 | der rückständige Theil allemal unendlich und der abgeflossene endlich | ||||||
24 | ist, so ist die Sphäre der ausgebildeten Natur allemal nur ein unendlich | ||||||
25 | kleiner Theil desjenigen Inbegriffs, der den Samen zukünftiger | ||||||
26 | Welten in sich hat und sich aus dem rohen Zustande des Chaos in | ||||||
27 | längern oder kürzern Perioden auszuwickeln trachtet. Die Schöpfung | ||||||
28 | ist niemals vollendet. Sie hat zwar einmal angefangen, aber sie wird | ||||||
29 | niemals aufhören. Sie ist immer geschäftig, mehr Auftritte der Natur, | ||||||
30 | neue Dinge und neue Welten hervor zu bringen. Das Werk, welches | ||||||
31 | sie zu Stande bringt, hat ein Verhältniß zu der Zeit, die sie darauf | ||||||
32 | anwendet. Sie braucht nichts weniger, als eine Ewigkeit, um die | ||||||
33 | ganze grenzenlose Weite der unendlichen Räume mit Welten ohne | ||||||
34 | Zahl und ohne Ende zu beleben. Man kann von ihr dasjenige sagen, | ||||||
35 | was der erhabenste unter den deutschen Dichtern von der Ewigkeit | ||||||
36 | schreibt: | ||||||
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