Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 097 |
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01 | ihn zu vermuthen. Also wird dieses ein Wall gegen die gefährliche | ||||||
02 | Bereitwilligkeit des Beifalles sein, der ohne diesen Bewegungsgrund | ||||||
03 | alle die Thätigkeit des Verstandes von der Untersuchung eines Gegenstandes | ||||||
04 | abwenden würde, indem er gar keine Ursache findet einen | ||||||
05 | Zweifel und Mißtrauen zu setzen. Diese Methode hat uns in den | ||||||
06 | Paragraphis 25, 40, 62, 65, 68 geholfen, und sie wird uns noch ferner | ||||||
07 | gute Dienste leisten. | ||||||
08 | § 90. |
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09 | Es würde eine Betrachtung von nicht geringem Nutzen sein, wenn | ||||||
10 | man diese Methode etwas deutlicher aus einander setzen und die Regeln | ||||||
11 | ihrer Anwendung zeigen wollte, allein diese Art der Untersuchung gehört | ||||||
12 | nicht unter die Gerichtsbarkeit der Mathematik, welcher doch eigentlich | ||||||
13 | diese Abhandlung gänzlich eigen sein sollte. Wir wollen aber | ||||||
14 | annoch eine Probe ihres Nutzens in der Widerlegung der Schlüsse, die | ||||||
15 | zum Vortheil der lebendigen Kräfte aus der Zusammensetzung der | ||||||
16 | Bewegungen entlehnt werden, darlegen. | ||||||
17 | In der Zusammensetzung der todten Drucke, z. E. der Gewichte, | ||||||
18 | die nach schrägen Richtungen einen Knoten ziehen, werden, wenn diese | ||||||
19 | Richtungen einen rechten Winkel einschließen, die Anfangsgeschwindigkeiten | ||||||
20 | derselben auch durch Linien ausgedrückt, welche Seiten eines | ||||||
21 | rechtwinklichten Parallelogramms sind, und der hieraus entspringende | ||||||
22 | Druck wird durch die Diagonallinie vorgestellt. Obgleich nun hier | ||||||
23 | ebenfalls das Quadrat der Diagonallinie der Summe der Quadrate | ||||||
24 | der Seiten gleich ist, so folgt doch hieraus keinesweges, daß sich die | ||||||
25 | zusammengesetzte Kraft zu einer von den einfachen, wie das Quadrat | ||||||
26 | der Linien, die die Anfangsgeschwindigkeiten ausdrücken, verhalten | ||||||
27 | werde; sondern alle Welt ist darin einig: daß diesem unerachtet die | ||||||
28 | Kräfte in diesem Falle dennoch nur in schlechter Proportion der Geschwindigkeiten | ||||||
29 | seien. Man nehme nun auch die Zusammensetzung der | ||||||
30 | wirklichen Bewegungen, so wie man sie durch die Mathematik vorstellt, | ||||||
31 | und vergleiche sie hiemit. Die Linien, welche die Seiten und die | ||||||
32 | Diagonale des Parallelogramms ausmachen, sind nicht anders, als | ||||||
33 | die Geschwindigkeiten nach diesen Richtungen, eben so, wie es in dem | ||||||
34 | Falle der Zusammensetzung todter Drücke beschaffen ist. Die Diagonallinie | ||||||
35 | hat eben das Verhältniß gegen die Seiten, als sie dort hat, | ||||||
36 | und der Winkel ist auch derselbe. Also ist nichts von den Bestimmungen, | ||||||
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