Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 096

     
           
 

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  01 scheinbar sind und das Ansehen der allerbekanntesten Wahrheiten      
  02 an sich haben, so werde der Verstand demselben Beifall geben      
  03 und sich in keine mühsame und langwierige Aufsuchung eines Fehlers      
  04 in demselben einlassen; denn alsdann gilt der Beweis in Ansehung      
  05 der Überzeugung, die dem Verstande daher entsteht, eben so viel,      
  06 wie einer, der eine geometrische Schärfe und Richtigkeit hat, und der      
  07 Fehler, der unter den Schlüssen versteckt liegt, thut, weil er nicht      
  08 wahrgenommen wird, eben so wenig Wirkung zu der Verminderung      
  09 des Beifalles, als wenn er in dem Beweise gar nicht anzutreffen      
  10 wäre. Also müßte der Verstand entweder niemals einem Beweise      
  11 Beifall geben, oder er muß es in diesem thun, wo er nichts erblickt,      
  12 was einem Fehler ähnlich sieht, d. i. wo er keinen vermuthet, wenn      
  13 gleich einer in ihm verborgen wäre. In einem solchen Falle also wird      
  14 er niemals eine besondere Bestrebung zu Aufsuchung eines Fehlers      
  15 anwenden, weil er keinen Bewegungsgrund dazu hat; folglich wird      
  16 derselbe sich nicht anders, als vermittelst eines glücklichen Zufalls hervorfinden,      
  17 er wird also gemeiniglich sehr lange verborgen bleiben, ehe      
  18 er entdeckt wird, denn dieser glückliche Zufall kann viele Jahre, ja      
  19 öftermals ganze Jahrhunderte ausbleiben. Dies ist beinahe der vornehmste      
  20 Ursprung der Irrthümer, die zur Schande des menschlichen      
  21 Verstandes viele Zeiten hindurch fortgewährt haben, und die hernach      
  22 eine sehr leichte Betrachtung aufgedeckt hat. Denn der Fehler, der      
  23 irgendwo in einem Beweise steckt, sieht dem ersten Anblicke nach einer      
  24 bekannten Wahrheit ähnlich, also wird der Beweis als vollkommen      
  25 scharf angesehen, man vermuthet mithin keinen Fehler in demselben,      
  26 man sucht ihn also auch nicht, und daher findet man ihn nicht anders      
  27 als zufälliger Weise. Hieraus läßt sich leicht abnehmen, worin das      
  28 Geheimniß werde zu suchen sein, was dieser Schwierigkeit Wie das Mittel    
  29 vorbeugt, und welches uns die Entdeckung der Irrthümer, beschaffen sein    
  30 die man begangen hat, erleichtert. Wir müssen die Kunst muß, wodurch    
  31 besitzen aus den Vordersätzen zu errathen und zu muthmaßen, man der Langwierigkeit    
  32 ob ein auf gewisse Weise eingerichteter Beweis der    
  33 in Ansehung der Folgerung auch werde hinlängliche und Irrthümer    
  34 vollständige Grundsätze in sich halten. Auf diese Art vorbeuge.    
  35 werden wir abnehmen, ob in ihm ein Fehler befindlich sein müsse,      
  36 wenn wir ihn gleich nirgends erblicken, wir werden aber alsdann bewogen      
  37 werden ihn zu suchen, denn wir haben eine hinlängliche Ursache      
           
     

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