Kant: Briefwechsel, Brief 761, An Christian Gottfried Schütz. |
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| An Christian Gottfried Schütz. | |||||||
| Königsberg, 10. Iul. 1797. | |||||||
| Unaufgefordert von Ihnen, würdiger Mann, doch veranlaßt durch | |||||||
| Ihren an unsern gemeinschaftlichen, vortrefflichen Freund, den Herrn | |||||||
| Hofprediger Schultz, abgelassenen Brief, ergreife ich diese Gelegenheit, | |||||||
| Ihnen meine Freude über Ihren besseren Gesundheitszustand, als ihn | |||||||
| das Gerücht seit geraumer Zeit verbreitet hatte, bezeugen zu können. | |||||||
| Ein so gemeinnützig thätiger Mann muß froh und lange leben! | |||||||
| Der Anstoß, den Sie im gedachten Briefe an meinem neuerdings | |||||||
| aufgestellten Begriffe des "auf dingliche Art persönlichen Rechts" | |||||||
| nehmen, befremdet mich nicht, weil die Rechtslehre der reinen Vernunft, | |||||||
| noch mehr wie andere Lehren der Philosophie, das: entia praeter necessitatem | |||||||
| non sunt multiplicanda sich zur Maxime macht. Eher | |||||||
| möchte es Ihr Verdacht thun, daß ich, durch Wortkünstelei mich selbst | |||||||
| täuschend, vermittelst erschlichener Principien das, wovon noch die Frage | |||||||
| war: ob es thunlich sey, für erlaubt angenommen habe. Allein man | |||||||
| kann im Grunde Niemandem es verdenken, daß er, bei einer Neuerung | |||||||
| in Lehren, deren Gründe er nicht umständlich erörtert, sondern bloß | |||||||
| auf sie hinweiset, in seinen Deutungen den Sinn des Lehrers verfehlt, | |||||||
| und da Irrthümer sieht, wo er allenfalls nur über den Mangel der | |||||||
| Klarheit Beschwerde führen sollte. | |||||||
| Ich will hier nur die Einwürfe berühren, die Ihr Brief enthält, | |||||||
| und behalte mir vor, dieses Thema mit seinen Gründen und Folgen, | |||||||
| an einem andern Orte ausführlicher vorzutragen. | |||||||
| 1. "Sie können sich nicht überzeugen, daß der Mann das Weib | |||||||
| zur Sache macht, sofern er ihr ehelich beiwohnet et vice versa. Ihnen | |||||||
| scheint es nichts weiter, als ein mutuum adiutorium zu seyn." - | |||||||
| Freilich, wenn die Beiwohnung schon als ehelich, d.i. als gesetzlich, | |||||||
| obzwar nur nach dem Rechte der Natur, angenommen wird: so | |||||||
| liegt die Befugnis dazu schon im Begriffe. Aber hier ist eben die | |||||||
| Frage: ob eine eheliche Beiwohnung, und wodurch sie möglich sey; | |||||||
| also muß hier bloß von der fleischlichen Beiwohnung (Vermischung) | |||||||
| und der Bedingung ihres Befugnisses geredet werden. Denn das | |||||||
| mutuum adiutorium ist blos die rechtlich nothwendige Folge aus der | |||||||
| Ehe, deren Möglichkeit und Bedingung allererst erforscht werden soll. | |||||||
| 2. Sagen Sie: "Kant's Theorie scheint bloß auf einer fallacia | |||||||
| des Wortes Genuß zu beruhen. Freilich im eigentlichen Genu | |||||||
| eines Menschen, wie das Menschenfressen, würde es ihn zur Sache | |||||||
| machen; allein die Eheleute werden doch durch den Beischlaf keine res | |||||||
| fungibiles." - - Es würde sehr schwach von mir gewesen seyn, mich | |||||||
| durch das Wort Genuß hinhalten zu lassen. Es mag immer wegfallen, | |||||||
| und dafür der Gebrauch einer unmittelbar (d.i. durch den Sinn, | |||||||
| der hier aber ein von allem andern specifisch verschiedener Sinn ist) | |||||||
| ich sage einer unmittelbar vergnügenden Sache gesetzt werden. | |||||||
| Beim Genusse einer solchen denkt man sich diese zugleich als verbrauchbar | |||||||
| (res fungibilis), und so ist auch in der That der wechselseitige | |||||||
| Gebrauch der Geschlechtsorgane beider Theile unter einander | |||||||
| beschaffen. Durch Ansteckung, Erschöpfung und Schwängerung (die mit | |||||||
| einer tödtlichen Niederkunft verbunden seyn kann) kann ein oder der | |||||||
| andere Theil aufgerieben (verbraucht) werden, und der Appetit eines | |||||||
| Menschenfressers ist von dem eines Freidenkers (libertin) in Ansehung | |||||||
| der Benutzung des Geschlechts nur der Förmlichkeit nach unterschieden. | |||||||
| So weit vom Verhältnisse des Mannes zum Weibe. Das vom | |||||||
| Vater (oder Mutter) zum Kinde ist unter den möglichen Einwürfen | |||||||
| übergangen worden | |||||||
| 3. "Scheint es Ihnen eine petitio principii zu seyn, wenn K. | |||||||
| das Recht des Herrn an den Diener, oder Dienstboten, als ein persönlich=dingliches | |||||||
| (sollte heißen: auf dingliche Art [folglich bloß der] | |||||||
| Form nach] persönliches) Recht beweisen will; weil man ja den Dienstboten | |||||||
| wieder einfangen dürfe etc. Allein das sey ja eben die Frage. | |||||||
| Woher wolle man beweisen, daß man jure naturae dieses thun dürfe?" | |||||||
| Freilich ist diese Befugniß nur die Folge und das Zeichen von | |||||||
| dem rechtlichen Besitze, in welchem ein Mensch den andern als das | |||||||
| Seine hat, ob dieser gleich eine Person ist. Einen Menschen aber als | |||||||
| das Seine (des Hauswesens) zu haben, zeigt ein jus in re (contra | |||||||
| quemlibet hujus rei possessorem gegen den Inhaber desselben) an. | |||||||
| Das Recht des Gebrauchs desselben zum häuslichen Bedarf ist analogisch | |||||||
| einem Rechte in der Sache, weil er nicht frei ist, als Glied | |||||||
| sich von dieser häuslichen Gesellschaft zu trennen, und daher mit Gewalt | |||||||
| dahin zurückgeführt werden darf, welches einem verdungenen | |||||||
| Tagelöhner, der bei der Hälfte der Arbeit (wenn er sonst nichts dem | |||||||
| Herrn entfremdete) sich entfernt, nicht geschehen kann, nämlich ihn einzufangen, | |||||||
| weil er nicht zu dem Seinen des Hausherrn gehörte, wie | |||||||
| Knecht und Magd, welche integrirende Theile des Hauswesens sind. | |||||||
| Iedoch das Weitere bei anderer Gelegenheit. Ietzt setze ich nichts | |||||||
| hinzu, als: daß mir jede Nachricht von Ihrer Gesundheit, Ihrem Ruhm | |||||||
| und Ihrem Wohlwollen gegen mich jederzeit sehr erfreulich seyn wird. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 181 ] [ Brief 760 ] [ Brief 762 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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