| Kant: Briefwechsel, Brief 66, Von Hieronymus Gottfried Wielkes. | |||||||
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| Von Hieronymus Gottfried Wielkes. | |||||||
| Leiden d 18ten Merz 1771. | |||||||
| HochEdelgebohrner Herr | |||||||
| Insonders Hochzuehrender HErr Profeßor | |||||||
| Sehr wehrter Freund | |||||||
| Schon lange habe ich gewünscht Ihnen unsere glückliche Ankunft | |||||||
| auf hiesiger Universität zu melden, allein Ihr alter Freund der | |||||||
| P. Runkenius ist Schuld, daß ich eine meiner angenehmsten Pflichten | |||||||
| bey nahe 3 Wochen habe aussetzen müßen. Seit dem 18ten Febr. | |||||||
| sind wir hier, und seit dem 21 ten eiusd. bewohnen wir unser kleines | |||||||
| Haus. Allein was für ein Unterschied gegen unser Preußen? Können | |||||||
| Sie wohl rathen was ich damit sagen will? Ich wünsche Sie könnten | |||||||
| es, denn ich habe mich fest entschloßen Ihnen nichts Böses von einem | |||||||
| Lande zu sagen, welches, wie die Rede geht alle Fremde bewundern. | |||||||
| Doch werden mir diese Vielsprecher erlauben, meine alte Freunde | |||||||
| und Ihren Umgang zu bedauren. Vielleicht ist dieser für mich so | |||||||
| harte Verlust auch die einzige Ursache, die mir den Holländer mit | |||||||
| aller seiner erzwungenen Höflichkeit unerträglich macht. Ein Deutscher | |||||||
| wird lächerlich wenn er dem Franzosen nachäft, aber ein Holländer | |||||||
| im parisischen Kleide sieht noch ärger als ein HErr von Gaensewitz | |||||||
| aus. Mein Trost und meine Stütze ist unser brave Runkenius; ein | |||||||
| Man voller Geist, und der mir oft bey einem freundschaftlichen | |||||||
| Feuer die angenehmen Augenblicke zurückruft, die ich in Ihrem reitzenden | |||||||
| und lehrreichen Umgange verlebt habe. Meine Feder schreibt Ihnen | |||||||
| keine leere Schmeicheleyen; sie kan Ihnen nichts anders als die aufrichtige | |||||||
| Sprache eines Herzens reden welches die vollkommenste Hochachtung | |||||||
| gegen seinen ersten und letzten Lehrer hegt. - Ich will Ihnen | |||||||
| alles sagen. Runkenius und ich, wir haben eine Art von Verschwörung | |||||||
| gegen Sie gemacht. Wir wollen uns alle Mühe geben Sie zu einer | |||||||
| Herüberkunft zu nöhtigen. Das ist gar kein Scherz. Wir fühlen | |||||||
| beyde das ganze Glück welches uns Ihre Gegenwart verschaffen könnte, | |||||||
| und unser Wunsch Sie hier zu sehen ist eben daher recht ernsthaft. | |||||||
| Ihr ehemaliger Vorsatz Engelland einmal zu besuchen giebt uns sogar | |||||||
| einige Hofnung. Von Engelland nach Leiden sind 18 Stunden. | |||||||
| Davor erschrickt man eben nicht insonderheit bey guter Iahreszeit. | |||||||
| Unser Haus wäre Ihre Wohnung so wie unsere Küche alsdenn unter | |||||||
| Ihren Befehlen stünde. HE. Runkenius würde sich mit uns allen | |||||||
| um die Wette beeifern Ihren Aufenthalt Ihnen angenehm zu machen. | |||||||
| Sie würden vielleicht das Vergnügen haben einen Menschen zu sprechen | |||||||
| der hier und in Amsterdam viel Lermens macht und sich Schwedenborg | |||||||
| nennt; ein Mensch der Geister sieht und mit allen unsichtbahren Wesen | |||||||
| in geheimer Correspondence steht. Da er von Amsterdam sehr oft | |||||||
| hieher komt um seine Bücher abzusetzen so ist er bey den hiesigen | |||||||
| Gelehrten bekant. Daher hat letzthin die Theologische Fakultät (o | |||||||
| es giebt hier so gut fromme Narren als in Deutschland) eine förmliche | |||||||
| Ambaßade an ihn geschickt um ihn fragen zu laßen ob Socrates und | |||||||
| Marc aurel im Himmel oder in der Hölle wären. Schwedenborg hat | |||||||
| sie alle vorgefunden, allein nach seiner Aussage haben die guten Leute | |||||||
| die keine Christen haben seyn können einen besondern Himmel in dem | |||||||
| man sich nicht in dem Grade vergnügen kan als in dem Aufenthalt | |||||||
| unserer heutigen Seeligen. Die Sache hat seine völlige Richtigkeit. | |||||||
| Noch jetzt dauren solche elende Streitigkeiten, die man hier gelehrt | |||||||
| und wichtig nent, fort. Diese FratzenGeschichte könnte einen üblen | |||||||
| Begrif von der hiesigen Muse geben, wenn nicht einige sehr geschickte | |||||||
| Männer ihr reinere und angenehmere Opfer brächten. Da | |||||||
| ist Runkenius in der Litteratur, Historie u. Beredsamkeit, ein Mann | |||||||
| der Ihr Freund ist. Er hat jetzt ein Werk über den Plato unter | |||||||
| Händen welches für unser Iahrhundert wichtig werden kan. Da ist | |||||||
| Pestel in der Philosophie und den Rechten, deßen Ruhm algemein | |||||||
| ist; er ist ohnlängst aus Rinteln hieher berufen worden; Falkenaer, | |||||||
| Allemann Männer die Beyde verehrt werden, der letzte insonderheit | |||||||
| wegen seiner Kentniße in der Naturkunde. Gaubius wird beynahe so | |||||||
| angebetet als Boerhave. Ueberhaubt sind hier 17 Profeßores, allein | |||||||
| die übrige kenne ich gar nicht. Bey den beyden ersten hören meine | |||||||
| Prinzen Collegia, und wie es scheint mit vielem Vortheil. - Bey | |||||||
| nahe hätte ich vergeßen, daß beyde junge Herren mir sehr ernsthaft | |||||||
| aufgegeben haben sie Ihnen zu empfehlen. Sie befinden sich munter | |||||||
| und wünschen gewis so eifrig als ich eine gütige Nachricht von Ihnen. | |||||||
| Aber hier ist noch ein Auftrag, und der ist: von uns allen dreyen, | |||||||
| den HEn. D. Reccard und alle unsere Freunde die Sie etwa sehen | |||||||
| möchten recht herzlich zu grüßen. Ihre Gütigkeit gegen mich wird | |||||||
| schon unsere Unverschämtheit entschuldigen und Ihnen die Versicherung | |||||||
| geben daß ich mit der grosten Hochachtung bin | |||||||
| Ew. Hochedelgebohrnen | |||||||
| ganz ergebenster Diener und | |||||||
| aufrichtigster | |||||||
| Wielkes. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA X, Seite 119 ] [ Brief 65a ] [ Brief 67 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] | |||||||