| Kant: Briefwechsel, Brief 305, Von Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
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| Von Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
| 12. Oct. 1787. | |||||||
| Verehrungswürdigster! | |||||||
| Endlich hat mein sehnliches Verlangen mich Ihnen durch einen | |||||||
| schriftlichen Besuch zu nähern, über die schüchternen Bedenklichkeiten | |||||||
| gesiegt, gegen die es seit mehr als einem Iahre her vergebens gekämpft | |||||||
| hat; und noch itzt bin ich nicht ohne Besorgniß, ob die wohlgemeynte | |||||||
| Absicht, die jenem Kampfe den Ausschlag gab, gegründet genug ist, | |||||||
| um auch nur vor mir selbst einen Schritt zu rechtfertigen, der wenigstens | |||||||
| eine Viertelstunde Ihrer unschätzbaren Zeit kosten muß. | |||||||
| Wenn ich nichts weiter vorhätte, als meinem von Dankbarkeit, | |||||||
| Liebe, Verehrung und Bewunderung erfüllten Herzen Luft zu machen: | |||||||
| so würde ich noch immer geschwiegen haben, wie der Iüngling bey | |||||||
| Klopstock, | |||||||
| dem wenige Lenze verwelkten, | |||||||
| und der dem silberhaarigen, thatenumgebenen Greis | |||||||
| wie sehr er Ihn liebe das Flammenwort hinströmen will. | |||||||
| Ungestüm fährt er auf um Mitternacht; | |||||||
| glühend ist seine Seele, | |||||||
| die Flügel der Morgenröthe wehen; Er eilt | |||||||
| zu dem Greif' - und saget es nicht! | |||||||
| Und noch sage ich es nicht, denn was könnten Ihnen Worte, zumal | |||||||
| auf dem Papiere, davon sagen? | |||||||
| Ich bin der Verfasser des im Februar 1785 des teutschen Merkurs | |||||||
| abgedruckten Briefes von dem Pfarrer aus *** über die | |||||||
| Recension von Herders Ideen u.s.w. in d. A. L. Z. | |||||||
| Ich habe diesem Geständnisse nichts weiter hinzuzufügen, als da | |||||||
| jener Brief eben so gut gemeynt war, als meine im Februar 786 und | |||||||
| den beyden folgenden Monathen erschienene Ehrenrettung der Reformation | |||||||
| gegen die zwey Kapitel des Geschichtschreiber Schmidts, | |||||||
| und die im August ebendesselben Iahres angefangenen, und im Ienner | |||||||
| des gegenwärtigen fortgesetzten Briefe über die Kantische | |||||||
| Philosophie. | |||||||
| Daß Sie jenen leidigen Brief gelesen und daraus die unphilosophische | |||||||
| Philosophie des zudringlichen Pfarrers kennen gelernt haben, | |||||||
| weiß ich; ob sie aber auch die letztgenannten Briefe gelesen, weiß ich | |||||||
| leider! nicht. Wüßte ichs; so dürfte ich mich nur darauf berufen, ohne | |||||||
| etwas mehreres von der heilsamen Revolution zu sprechen, die seit | |||||||
| zwey Iahren in meinem Gedankensysteme vorgegangen ist, und durch | |||||||
| welche Sie der größte und beste Wohlthäter, der je ein Mensch dem | |||||||
| andern war und seyn kann, an mir geworden sind. | |||||||
| Der von Ihnen entwickelte moralische Erkenntnißgrund der | |||||||
| Grundwahrheiten der Religion, das einzige Morceau das mir aus | |||||||
| dem ganzen in der Litteraturzeitung gelieferten Auszuge Ihres Werkes | |||||||
| verständlich war, hat mich zuerst zum Studium der Kritik d. r. V. | |||||||
| eingeladen. Ich ahndete, suchte und fand in derselben das kaum mehr | |||||||
| für möglich gehaltene Mittel, der unseeligen Alternative zwischen Aberglauben | |||||||
| und Unglauben überhoben zu seyn. Beyde Seelenkrankheiten | |||||||
| habe ich in einem seltenen Grade durch eigene Erfahrung kennen gelernt, | |||||||
| und ich weiß nicht ob ich von der letztern, von der mich die K. | |||||||
| d. r. V. geheilt hat, nicht eben so empfindlich gelitten habe, als von | |||||||
| der erstern, die ich gleichsam mit der Muttermilch eingesogen habe, | |||||||
| und die, in einem katholischen Treibhause der Schwärmerey, in welches | |||||||
| ich in meinem vierzehnten Iahre versetzt wurde, zu einer ungewöhnlichen | |||||||
| Heftigkeit gediehen war. Meine Freude über meine radikale | |||||||
| Genesung, und der Wunsch zur Verbreitung des von mir so bewährt | |||||||
| gefundenen, und gleichwohl von meinen Zeitgenossen zum Theil noch | |||||||
| so sehr verkannten Heilmittels das Meinige beyzutragen, haben die | |||||||
| erwähnten Briefe über die kantische Philosophie veranlasset. | |||||||
| Die gute Aufnahme, welche diese Briefe bey demjenigen Theil | |||||||
| des lesenden Publikums, für welchen ich sie bestimmte, gefunden, und | |||||||
| vornämlich die gute Wirkung die sie auf meinen vortreflichen Schwiegervater, | |||||||
| der soeben im Begriffe ist sich durch die Schulzischen Erläuterungen | |||||||
| für die C. d. r. V. vorzubereiten, gethan haben, flößten mir | |||||||
| bey meiner Arbeit Muth ein; und ich fragte mich zuweilen selbst, ob | |||||||
| es denn nichts weiter als ein süsser Traum seyn soll, wenn ich mich | |||||||
| berufen glaube, eine der Stimmen in der Wüste abzugeben, welche | |||||||
| die Wege des zweyten Immanuels bereiten sollen? | |||||||
| Ich weiß, wie viel ich begehre, indem ich Sie bitte unter meinen | |||||||
| Briefen wenigstens den Dritten (:im Ienner d. I.) und den Achten | |||||||
| (: im September:) zu lesen, und dann, wenn Sie es für thunlich | |||||||
| halten mir bey der unten anzuzeigenden Gelegenheit, das einfache | |||||||
| Zeugniß zu geben, daß ich die Critik der reinen Vernunft verstanden | |||||||
| habe. Dieses Zeugniß wird meinem Berufe, wenn er mehr | |||||||
| als Traum ist, das Siegel seiner Authenticität aufdrücken, und meinen | |||||||
| Briefen aufmerksamere und häufigere Leser, und meinen Vorlesungen | |||||||
| über meine Einleitung in die Kritik der Vernunft für | |||||||
| Anfänger, die ich in vierzehn Tagen eröfnen werde, Zuhörer | |||||||
| verschaffen. Die Briefe werden zur nächsten Ostermesse verbessert | |||||||
| im Verlag von Blumauer (: meinem Freunde :) und Gräffer in Wien | |||||||
| besonders abgedruckt erscheinen; und ich hoffe diesem ersten Bändchen | |||||||
| derselben mehrere folgen lassen zu können. Ich habe diesen Verleger | |||||||
| gewählt, weil ich dadurch ausser der gewöhnlichen Verbreitung auf der | |||||||
| Leipzigermesse, die von ihm besucht wird, auch auf die kaiserlichen | |||||||
| Staaten rechnen darf, in welchen wie mir Blumauer versichert die | |||||||
| Briefe vorzüglich Eingang zu finden scheinen. - Kaum ward es | |||||||
| hier bekannt, daß ich über die erwähnte Einleitung lesen würde, so | |||||||
| kündigte, der hiesige Prof. Ulrich (: der wie Ihnen bekannt ist die | |||||||
| bisherige Metaphysik mit den Resultaten der Kr. d. V. in seinem | |||||||
| Lehrbuche zu vereinbaren versucht hat, aber wie ihnen wohl nicht bekannt | |||||||
| seyn wird von der Zeit an daß ich hier bin täglich häufigere | |||||||
| Widersprüche in der Kritik der V. entdeckt, und der Beurtheilung | |||||||
| seines Auditoriums unterwirft :) - ein polemisches Kollegium zum | |||||||
| Vortheil seiner οντος οντων über die Kr. d. r. V. an - und weil er | |||||||
| für das eingehende Halbjahr schon mit sechs verschiedenen Collegien | |||||||
| alle seine Zeit besetzt hat, auch der LektionsCatalogus bereits abgedruckt | |||||||
| war, so schlug er an die Thüre seines Auditoriums an da | |||||||
| er auf nächstkommendes mit Ostern angehendes Halbjahr | |||||||
| die Kr. d. r. V. vornehmen werde. Indessen sucht er unter den St[udenten] | |||||||
| zu verbreiten, was er auch in seiner in den Ien. gelehrten Zeitung | |||||||
| eingerückten Recension über Raum und Kausalität spöttisch zu verstehen | |||||||
| giebt, die jungen Herren (: ich bin gegenwärtig aber doch | |||||||
| schon im dreyssigsten : welche gegenwärtig mit dem kantischen Fieber | |||||||
| behaftet wären und mit den Kantischen Spitzfindigkeiten Abgötterey | |||||||
| trieben, verstünden ihren Abgott am allerwenigsten. Als einem Anfänger | |||||||
| kann mir diese Empfehlung von einem alten und ziemlich angesehnen | |||||||
| Lehrer nichts weniger als gleichgiltig seyn. | |||||||
| Die Gelegenheit, die ich zu dem öffentlichen Zeignisse, daß ich | |||||||
| Sie so viel sich aus meinen Briefen über die kantische Philosophie | |||||||
| ersehen läßt, verstanden habe, unmaßgeblich vorzuschlagen wage, wäre | |||||||
| ein Fragment ihrer beliebigen Antwort an mich, das ich in den | |||||||
| teutschen Merkur den ich mit meinen Schwiegervater seit anderthalb | |||||||
| Iahren herausgebe, abdrucken lassen dürfte, und in welchem sie mir | |||||||
| folgenden Zweifel allenfalls nur durch ein paar Winke beantworteten, | |||||||
| der mir bereits von mehreren Lesern der C. d. r. V. aufgeworfen wurde: | |||||||
| In der Note unter dem Text der Vorrede zu den metaphysischen | |||||||
| Anfangsgründen der Naturwissenschaft wird sehr treffend dargethan, | |||||||
| daß das Hauptfundament Ihres Systemes auch ohne "vollständige | |||||||
| Deduktion der Categorien feststehe, - Hingegen wird in der Krit. d. | |||||||
| r. V. sowohl der ersten als zweyten Ausgabe im zweyten Hauptstück | |||||||
| der transcend. Analytik 1. Abschnitte, die unumgängliche Nothwendigkeit | |||||||
| jener Deduktion behauptet und erwiesen." Der Verf. der | |||||||
| Briefe über die Kantische Philosophie, würde sich durch die Veranlassung | |||||||
| Ihrer Auflösung dieser scheinbaren Schwierigkeit bey dem Publikum | |||||||
| so wohl, als bey dem Herausgeber des Merkur, der wie er mir öfters | |||||||
| versicherte, seinen Merkur mit Ihrem Namen ausgezeichnet wünschte, | |||||||
| ein grosses Verdienst machen. | |||||||
| Finden Sie meine Zudringlichkeit der Vergebung oder meine | |||||||
| Bitte der Erhörung unwehrt, so wird mich Ihr Stillschweigen zurechte | |||||||
| weisen; ich werde darum nicht weniger stolz darauf seyn, daß ich mich | |||||||
| mit der größten Wahrheit nennen darf | |||||||
| Ihren innigsten Verehrer | |||||||
| Iena den 12. Oktober 787. | Carl Leonhard Reinhold mpr | ||||||
| Sächs. Weimarsch. Rath und Professor der Phlie | |||||||
| in Iena. | |||||||
| Wieland dem ich bey unsrem letzten Beysamenseyn mein Vorhaben | |||||||
| Ihnen zu schreiben, mittheilte - trug mir die Versicherung | |||||||
| seiner Hochachtung und herzlichsten Ergebenheit auf. | |||||||
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