Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 293 |
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Text (Kant):
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| 01 | Der Metaphysik |
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| 02 | drittes Stadium. |
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| 03 | Praktisch-dogmatischer Überschritt zum Übersinnlichen. |
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| 04 | Zuvörderst muß man wohl vor Augen haben, daß in dieser ganzen | ||||||
| 05 | Abhandlung der vorliegenden academischen Aufgabe gemäß, die Metaphysik | ||||||
| 06 | blos als theoretische Wissenschaft, oder, wie man sie sonst nennen | ||||||
| 07 | kann, als Metaphysik der Natur gemeynt sey, mithin der Überschritt | ||||||
| 08 | derselben zum Übersinnlichen nicht als ein Schreiten zu einer ganz andern, | ||||||
| 09 | nämlich moralisch-praktischen Vernunftwissenschaft, welche Metaphysik | ||||||
| 10 | der Sitten genannt werden kann, verstanden werden müsse, | ||||||
| 11 | indem dieses eine Verirrung in ein ganz andres Feld (metabasis eis allo | ||||||
| 12 | génos) seyn würde, obgleich die letztere auch etwas Übersinnliches, nämlich | ||||||
| 13 | die Freyheit, aber nicht nach dem, was es seiner Natur nach ist, sondern | ||||||
| 14 | nach demjenigen, was es in Ansehung des Thuns und Lassens für | ||||||
| 15 | praktische Principien begründet, zum Gegenstande hat. | ||||||
| 16 | Nun ist das Unbedingte nach allen im zweyten Stadium angestellten | ||||||
| 17 | Untersuchungen in der Natur, d.i. in der Sinnenwelt, schlechterdings nicht | ||||||
| 18 | anzutreffen, ob es gleich nothwendig angenommen werden muß. Von | ||||||
| 19 | dem Übersinnlichen aber gibt es kein theoretisch-dogmatisches Erkenntniß | ||||||
| 20 | (noumenorum non datur scientia). Also scheint ein praktisch-dogmatischer | ||||||
| 21 | Überschritt der Metaphysik der Natur sich selbst zu widersprechen, und | ||||||
| 22 | diese dritte Stadium derselben unmöglich zu seyn. | ||||||
| 23 | Allein wir finden unter den zur Erkenntniß der Natur, auf welche | ||||||
| 24 | Art es auch sey, gehörigen Begriffen, noch einen von der besondern | ||||||
| 25 | Beschaffenheit, daß wir dadurch nicht, was in dem Object ist, sondern | ||||||
| 26 | was wir, bloß dadurch, daß wir es ihn legen, uns verständlich machen | ||||||
| 27 | können, der also eigentlich zwar kein Bestandtheil der Erkenntniß des | ||||||
| 28 | Gegenstandes, aber doch ein von der Vernunft gegebenes Mittel oder | ||||||
| 29 | Erkenntnißgrund ist, und zwar der theoretischen, aber in so fern doch nicht | ||||||
| 30 | dogmatischen Erkenntniß, und dies ist der Begriff von einer Zweckmäßigkeit | ||||||
| 31 | der Natur, welche auch ein Gegenstand der Erfahrung seyn | ||||||
| 32 | kann, mithin ein immanenter, nicht transscendenter, Begriff ist, wie der | ||||||
| 33 | von der Struktur der Augen und Ohren, von der aber, was Erfahrung | ||||||
| 34 | betrifft, es kein weiteres Erkenntniß gibt, als was Epikur ihm zustand, | ||||||
| 35 | nämlich daß, nachdem die Natur Augen und Ohren gebildet hat, wir | ||||||
| 36 | sie zum Sehen und Hören brauchen, nicht aber beweiset, daß die sie | ||||||
| 37 | hervorbringende Ursache selbst die Absicht gehabt habe, diese Struktur | ||||||
| 38 | dem genannten Zwecke gemäß zu bilden, denn diesen kann man nicht | ||||||
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