Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 261 |
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| 01 | Für die Ontologie hat nun der berühmte Wolf durch die Klarheit | ||||||
| 02 | und Bestimmtheit in Zergliederung jenes Vermögens, aber nicht zur | ||||||
| 03 | Erweiterung der Erkenntniß in derselben, weil der Stoff erschöpft war, | ||||||
| 04 | unstreitige Verdienste. | ||||||
| 05 | Die obige Definition aber, welche nur anzeigt, was man mit der | ||||||
| 06 | Metaphysik will, nicht aber, was in ihr zu thun sey, würde sie nur als | ||||||
| 07 | eine zur Philosophie in der eigenthümlichen Bedeutung des Wortes, | ||||||
| 08 | d.i. zur Weisheitslehre gehörige Unterweisung, von anderen Lehren auszeichnen | ||||||
| 09 | und dem schlechterdings nothwendigen practischen Gebrauch | ||||||
| 10 | der Vernunft seine Principien vorschreiben, welches nur eine indirecte | ||||||
| 11 | Beziehung der Metaphysik ist, unter der man eine scholastische Wissenschaft | ||||||
| 12 | und System von gewissen theoretischen Erkenntnissen a priori | ||||||
| 13 | versteht, welche man sich unmittelbar zum Geschäfte macht. Daher wird | ||||||
| 14 | die Erklärung der Metaphysik nach dem Begriff der Schule sein: — sie | ||||||
| 15 | ist das System aller Principien der reinen theoretischen Vernunfterkenntniß | ||||||
| 16 | durch Begriffe; oder kurz gesagt: sie ist das System der reinen | ||||||
| 17 | theoretischen Philosophie. | ||||||
| 18 | Sie enthält also keine praktischen Lehren der reinen Vernunft, aber | ||||||
| 19 | doch die theoretischen, die dieser ihrer Möglichkeit zum Grunde liegen. | ||||||
| 20 | Sie enthält nicht mathematische Sätze, d.i. solche, welche durch die Construktion | ||||||
| 21 | der Begriffe Vernunfterkenntniß hervorbringen, aber die | ||||||
| 22 | Prinzipien der Möglichkeit einer Mathematik überhaupt. Unter Vernunft | ||||||
| 23 | aber wird in dieser Definition nur das Vermögen der Erkenntniß | ||||||
| 24 | a priori, d.i. die nicht empirisch ist, verstanden. | ||||||
| 25 | Um nun einen Maasstab zu dem zu haben, was neuerdings in der | ||||||
| 26 | Metaphysik geschehen ist, muß man dasjenige, was in ihr von jeher | ||||||
| 27 | gethan worden, beydes aber mit dem vergleichen, was darin hätte gethan | ||||||
| 28 | werden sollen. — Wir werden aber den überlegten vorsätzlichen Rückgang | ||||||
| 29 | nach Maximen der Denkungsart, mit zum Fortschreiten, d.i. als einen | ||||||
| 30 | negativen Fortgang in Anschlag bringen können, weil dadurch, wenn es | ||||||
| 31 | auch nur die Aufhebung eines eingewurzelten, sich in seinen Folgen weit | ||||||
| 32 | verbreitenden Irrtums wäre, doch etwas zum Besten der Metaphysik bewirkt | ||||||
| 33 | werden kann, so wie von dem, der vom rechten Wege abgekommen ist, | ||||||
| 34 | und zu der Stelle, von der er ausging, zurückkehrt, um seinen Compa | ||||||
| 35 | zur Hand zu nehmen, zum wenigstens gerühmt wird, daß er nicht auf | ||||||
| 36 | dem unrechten Wege zu wandern fortgefahren, noch auch still gestanden, | ||||||
| 37 | sondern sich wieder an den Punkt seines Ausganges gestellt hat, um sich | ||||||
| 38 | zu orientiren. | ||||||
| 39 | Die ersten und ältesten Schritte in der Metaphysik wurden nicht etwa | ||||||
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