Kant: AA XII, Briefwechsel 1796 , Seite 132 |
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Text (Kant):
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| 01 | so viel ich mich selbst zu kennen glaube schildern und Ihnen bitten | ||||||
| 02 | mir Ihren weisen Rath mitzutheilen um meine Fehler verbeßern zu | ||||||
| 03 | können. Ich scheine mir von Natur empfindsam, allein durch den | ||||||
| 04 | Umgang mit der Welt ist diese Empfindsamkeit fast ganz verschwunden, | ||||||
| 05 | und nur dann und wann fühle ich es noch daß ich von Natur ohnmöglich | ||||||
| 06 | so unempfindsam seyn kann als ich mich finde. Ich haße den | ||||||
| 07 | Umgang mit gewöhnlichen Menschen und wünsche mir nur verdraute | ||||||
| 08 | Freunde oder die Einsamkeit die Freundin des Weisen und des Denkers | ||||||
| 09 | ich suche dieselbe auf, will dann anfangen über erhabne Gegenstände | ||||||
| 10 | und über mich selbst nachzudencken und finde mich dennoch gleichsam | ||||||
| 11 | so für mich selbst verschloßen, daß ich ohnmöglich eines erhabnen Gedankens | ||||||
| 12 | fahig bin, ich will mich dazu zwingen, und um desto verstockter | ||||||
| 13 | bin ich, und kehre dann unzufrieden und traurig zurück. Ich nehme | ||||||
| 14 | mir jezt fest vor tugendhaft zu seyn und mich zu besiegen, und in der | ||||||
| 15 | andern Minute begehe ich eine Thorheit wozu mich mein Leichtsinn | ||||||
| 16 | verleitet, ich will menschenfreundlich seyn, alle Beleidigungen mit Edelmuth | ||||||
| 17 | ertragen, und in der andern Minute mißhandle ich den mir untergebnen | ||||||
| 18 | Burschen oft wegen einer geringen Vergehung, besonders aber | ||||||
| 19 | ist Leichtsinn einer meiner größten Fehler, und verleitet mich oft zu | ||||||
| 20 | Vergehungen welche ich zu einer andern Zeit bitter bereue, ich lese | ||||||
| 21 | moralische Bücher weil sie mir nüzlich sind, fühle und begreife aber | ||||||
| 22 | davon fast gar nichts. O! ich bitte Ihnen, theilen Sie mir Ihren | ||||||
| 23 | weisen Rath mit wie ich es anfangen soll meinen Verstand, Ideen, | ||||||
| 24 | und Empfindungen zu verfeinern, bringen Sie mir reine Begriffe von | ||||||
| 25 | Gott und der natürlichen Religion bey, und nehmen Sie die innigste | ||||||
| 26 | Versicherung, daß kein Wort bey mir verlohren gehen soll und da | ||||||
| 27 | mir alles tief! tief! ins Herz geprägt seyn soll, ob ich gleich schon so | ||||||
| 28 | manche herrliche Lehre und Moral mit Kälte über die ich mich selbst | ||||||
| 29 | wundere laß; so soll doch von den Ihrigen jedes Wort bis ins innerste | ||||||
| 30 | meines Herzens würken, tief! sollen Sie in meinen Herzen wohnen | ||||||
| 31 | und der mir über alles theure Nahme Kant, wird mir noch in spätesten | ||||||
| 32 | Alter, unvergeßlich und ehrwürdig seyn, o! Verehrungswürdigster | ||||||
| 33 | Greis! beglücken Sie immer einen unerfahrnen jungen Menschen mit | ||||||
| 34 | Ihren weisen Rath, allein sollten Sie Ihn deßen nicht würdig achten, | ||||||
| 35 | o! so bitte ich Sie um alles würdigen Sie denselben nur einer abschläglichen | ||||||
| 36 | Antwort, damit er überzeugt wird ob er fähig ist zu jenen | ||||||
| 37 | erhabnen Ziele zu gelangen oder nicht. Nochmals bitte ich Ihnen | ||||||
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