Kant: AA XII, Briefwechsel 1796 , Seite 074 |
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| 01 | uns aufgezeichnet und erkläret hat, eine freie, stolze Stirn, | ||||||
| 02 | und trotzen jeder gegenwärtigen und jeder künftigen Tirannensophisterei. | ||||||
| 03 | Die Prinzipien des Schönen und Erhabenen sind, mit bewundernswürdiger | ||||||
| 04 | Mikroscopie ächt=philosophischer Analyse, bis in ihre | ||||||
| 05 | ursprünglichen Bestandtheile zerlegt, und schöne Kunst und Genie | ||||||
| 06 | lernen, ihre glücklichsten Kraftäußerungen auf die höchsten Zwecke | ||||||
| 07 | der Menschheit, auf wahre Veredelung des Geistes und des | ||||||
| 08 | Herzens, hinrichten. | ||||||
| 09 | In diesen, und so manchen andern Wissenschaften, sind, Dank sey's | ||||||
| 10 | Ihrem alles=durchschauenden Scharfsinn, verjährte Vorurtheile widerlegt | ||||||
| 11 | und niedergekämpft; tiefgewurzelte Irrthümer ausgerottet; alte Wahrheiten | ||||||
| 12 | neu=beleuchtet; neue entdeckt. | ||||||
| 13 | Die Telescope, die Mikroscope liegen da, Arbeiten Ihres Genies: | ||||||
| 14 | und erwarten - jene ihre Hevelius und Herrschel; diese - ihre | ||||||
| 15 | Reaumure und Löwenhooke. | ||||||
| 16 | Nicht minder schätzenswerth, und schätzenswerther vielleicht als | ||||||
| 17 | alles dies, ist der Geist des ernsten Nachdenkens, der anhaltenden | ||||||
| 18 | Prüfung, des tieferen Forschens und Eindringens, den Sie durch Ihre | ||||||
| 19 | Werke einer Zeitgenossenschaft mitzutheilen gewußt, die, angesteckt mit | ||||||
| 20 | jenem, des Iahrhunderts der Vernunft so unwürdigen, Sinn der | ||||||
| 21 | Kleinlichkeit, der Flatterhaftigkeit, der oberflächlichen Beurtheilung der | ||||||
| 22 | Dinge, die Untersuchungen über gewisse wichtige und angelegentliche | ||||||
| 23 | Wahrheiten, (vielleicht die angelegentlichsten und wichtigsten unter | ||||||
| 24 | allen) nicht allein ganz aus dem Auge, sondern sogar fast alles Interesse | ||||||
| 25 | dafür, verloren hatte. | ||||||
| 26 | In der That! der Verfasser der unsterblichen Werke der Kritik | ||||||
| 27 | der reinen Vernunft, der praktischen Vernunft, der Kritik der Urtheilskraft, | ||||||
| 28 | mußte seine Zeitgenossen durch diesen Tiefsinn, diese Fruchtbarkeit | ||||||
| 29 | der Ideen, diese außerordentliche Feinheit in der Zerlegung der | ||||||
| 30 | Begriffe, in Erstaunen setzen, die uns jezt aus denselben entgegenstrahlen; | ||||||
| 31 | wenn es ihm gelingen sollte, was ihm nun so glorreich gelungen ist: | ||||||
| 32 | den alles=verflüchtigenden Leichtsinn des Iahrhunderts zur ernsten | ||||||
| 33 | Weisheit, die alles=entscheidende, und nichts=ergründende Oberflächlichkeit | ||||||
| 34 | zu der äußersten Anstrengung der Denk= und Forsch=Kraft, zurückzurufen; | ||||||
| 35 | alte, längst=vergessene, längst=entschieden=geglaubte Streitigkeiten | ||||||
| 36 | zum Gegenstande der eifrigsten Untersuchungen zu machen; und | ||||||
| 37 | den Zeit=geist kleinlicher Gewinnsucht, tändelnder Kunstliebhaberey, | ||||||
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