Kant: AA XII, Briefwechsel 1795 , Seite 044 |
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| 01 | ein fünfjähriges pythagoreisches, sondern ein lebenslängliches Stillschweigen | ||||||
| 02 | in der philosophirenden Welt zu beobachten entschlossen bin. | ||||||
| 03 | Auch kan ich dieses Buch nicht wie die Aphorismen ein Werk der | ||||||
| 04 | Uebereilung nennen. Ich habe es mehr als einmal durchzuprüfen | ||||||
| 05 | Zeit gehabt und habe es also ganz zu verantworten. Ueber das Kleid | ||||||
| 06 | zu disputiren, das ich der Wahrheit umzuhängen gewagt habe, werde | ||||||
| 07 | ich nicht nöthig haben, wenn nur die Wahrheit nicht durch dieses | ||||||
| 08 | Kleid entstellt ist. Aber wird die reine und entkleidete Wahrheit, die | ||||||
| 09 | Unsichtbare und Unsterbliche, die Ihnen erschien, als Sie den Begriff | ||||||
| 10 | einer reinen Erkenntnißform fanden und die Tafel der Categorien aufstellten, | ||||||
| 11 | wird diese sich erkennen in der Lehre meines eleusinischen | ||||||
| 12 | Priesters? Hätte ich nicht wenigstens vor der Berührung der transcendentalen | ||||||
| 13 | Logik mich scheuen sollen? Wird meine Bestimmung der Begriffe | ||||||
| 14 | der Freiheit und des Willens die Probe halten? Ist meine Theorie | ||||||
| 15 | vom Glauben an eine beste Welt nicht eine Verirrung der Speculation | ||||||
| 16 | über die Gränze, die Sie ihr vorgezeichnet haben? Wenn ich doch | ||||||
| 17 | darüber die Wahrheit selbst fragen könnte! Oder wenn ich von Ihnen | ||||||
| 18 | hören könnte, ob Sie die Abweichungen der Lehre Theophranors von | ||||||
| 19 | Ihrer Critik der r. V. für ganz grundlos erkennen! - Aber Sie haben | ||||||
| 20 | mehr zu thun in Ihrem Wegweiser=Amt, als sich umzusehen, ob | ||||||
| 21 | nicht Einer oder Anderer stolpert, der Ihre Wege betreten will. Wer | ||||||
| 22 | gefallen ist, fühlt doch am Ende selbst, daß er am Boden liegt, wenn | ||||||
| 23 | er nicht durch übermäßige Träumerei alle Besonnenheit verloren hat; | ||||||
| 24 | und wer stolpert, ohne zu fallen, fühlt wenigstens, daß er sich stößt. | ||||||
| 25 | Ein Wanderer, wie ich, kan schon aus der Erfahrung sprechen. Seitdem | ||||||
| 26 | ich mich von Göttingen getrennt, darauf eine Reise durch die | ||||||
| 27 | Schweiz gemacht, und jezt mich in einen stillen Privatstand in diese | ||||||
| 28 | Rheingegend zurückgezogen habe, ist mir mancher Irrthum mit dem | ||||||
| 29 | Staube von meinen Füßen gefallen, und manche Empfindungen, die mir | ||||||
| 30 | fest anhingen, haben mich verlassen, nur nicht meine Ueberzeugung | ||||||
| 31 | von Ihrem unvergänglichen Verdienst in der größten Angelegenheit | ||||||
| 32 | der Vernunft, und nicht die innige Verehrung, mit der ich bin | ||||||
| 33 | Ew. Wohlgeb. | ||||||
| 34 | gehorsamster D[iene]r | ||||||
| 35 | >F Bouterwek. | ||||||
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