| Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 436 | |||||||
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| 01 | Zutraulichkeit, als es sonst wohl das Ceremoniel erfoderte, mich Ihrer | ||||||
| 02 | Person zu nähern, u. mich gerade zu bei Ihnen Raths zu erholen, wo | ||||||
| 03 | ich mir allein nicht traue, und wo andre mir denselben nicht geben | ||||||
| 04 | konnen oder nicht geben wollen. Wenn der Dank u. die warme Verehrung, | ||||||
| 05 | die ich gegen einen Mann fühle, der das dunkle Gefühl von | ||||||
| 06 | der Unzulänglichkeit der bisherigen metaphysischen Wissenschaften in mir | ||||||
| 07 | so sehr aufgehellt hat, noch einen Grund abgeben kann, weshalb Sie | ||||||
| 08 | diese meine Zudringlichkeit entschuldigen: so freue ich mich zugleich, | ||||||
| 09 | dieses Bekenntnis, das ich so oft im Cirkel meiner Freunde u. Zuhörer | ||||||
| 10 | zwar nicht wärmer, aber doch lauter gethan habe, auch vor diesem | ||||||
| 11 | Manne selbst thun zu können. | ||||||
| 12 | Die nähere Veranlassung zu diesem Briefe ist die Mendelsohnsche | ||||||
| 13 | Schrift u. die Zeitungsnachricht, als ob Sie solche widerlegen würden. | ||||||
| 14 | M. verdient, daß seine Schrift mit Beifall aufgenommen wurde, u. | ||||||
| 15 | ich glaube, ein jeder der auch seiner Meinung nicht ist, wird ihm, für | ||||||
| 16 | die, ihm so eigne lichtvolle Auseinandersetzung der bisherigen Beweise | ||||||
| 17 | fürs Dasein Gottes danken. Aber ich hörte gleich anfänglich einige | ||||||
| 18 | Triumphlieder, die zwar freilich mehr aus dem Herzen als aus dem | ||||||
| 19 | Kopfe kamen, aber eben um deshalb desto ehr Eingang fanden, u. | ||||||
| 20 | worin dem HE. M. ein Sieg zuerkannt wurde, den er laut seines Bekenntnisses | ||||||
| 21 | gar nicht einmal im Sinne gehabt hatte. Ia man hat es | ||||||
| 22 | sich so gar in einigen Recensionen ganz deutlich merken lassen, als ob | ||||||
| 23 | durch diese Schrift der Kantschen Krit. ein nicht geringer Stos versetzt | ||||||
| 24 | wär, welches denn nach meiner Meinung ganz klärlich beweißt, | ||||||
| 25 | daß die Kritik immer nur noch durchblättert, aber nicht durchstudiert | ||||||
| 26 | wird. Ich muß nun gestehen, daß ich bei Durchlesung der M. Schrift | ||||||
| 27 | nicht das geringste fand, wodurch dem alten Beweisen mehr Stärke und | ||||||
| 28 | Haltbarkeit wär gegeben worden. Allenthalben die nemlichen Voraussetzungen, | ||||||
| 29 | auf deren Beweis Sie in Ihrer Kr. mit so vielem Rechte | ||||||
| 30 | dringen. Die Klagen, über die jetzige Art zu philosophiren, welche | ||||||
| 31 | HE. M. in der Vorrede äussert scheinen mir auch ganz ungegründet, | ||||||
| 32 | besonders, wenn man sie, wie gewönlich, auf diejenigen zieht, welche | ||||||
| 33 | zu jeder Uberzeugung vom Dasein sinnliche Wahrnehmung fodern. Ich | ||||||
| 34 | fand auch gar nicht, daß HE. M. irgend etwas Erhebliches gesagt | ||||||
| 35 | hätte, das gegen Ihre Kr. mit Grunde gebraucht werden könnte, u. | ||||||
| 36 | eben deswegen glaubte ich es ihm gern, daß er sie nur vom Hören | ||||||
| 37 | sagen kennete. Eine einzige Stelle ist mir aufgefallen, bei der es den | ||||||
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