Kant: AA X, Briefwechsel 1784 , Seite 378 |
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Text (Kant):
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| 01 | mir auf Ehre und Gewißen betheuret, daß er sie nicht einmahl alle | ||||||
| 02 | von Gesicht gekannt, besonders die siebente, die er nie in seinem Leben | ||||||
| 03 | gesehen. 6 von diesen lüderlichen Personen, um sich kein Spektakel | ||||||
| 04 | zu machen, hat er Geld gegeben: bei der siebenten endlich wird er ungeduldig | ||||||
| 05 | und schmeißt sie zur Thüre hinaus; diese verklagt ihn (:denn | ||||||
| 06 | es soll dergleichen Huren=Advokaten viele in K. geben. HE H. hat | ||||||
| 07 | auf eine lobenswürdige Weise selbst dazu beigetragen, daß einigen von | ||||||
| 08 | diesen schlechten Menschen, ihrer Advokatur sind entsezt worden:) sie bezeichnet | ||||||
| 09 | Ort, Stunde, alles genau: der Mann verliehrt den Proces; | ||||||
| 10 | er appellirt nach Berlin, da hat er ihn endlich gewonnen, aber auf | ||||||
| 11 | einige hundert Thaler Unkosten gehabt. Der Ungenannte hatte also | ||||||
| 12 | wenigstens viele Erfahrungen vor sich, daß dergleichen Weibspersonen | ||||||
| 13 | mehrentheils mit Lügen umgehen; doch konnte ihn freilig dies allein | ||||||
| 14 | nicht berechtigen, die Außage der Person platterdings für falsch zu erklären; | ||||||
| 15 | Allein eine andere Ursache, die er HE H. in jener schon gedachten | ||||||
| 16 | Erklärung zu verstehen gegeben, bewog ihn, das Vorgeben der | ||||||
| 17 | Person für fälschlich zu halten, so, daß er, wenn nun doch das Vorgeben | ||||||
| 18 | der Person würklich Grund haben sollte, gestehen muß: er sei | ||||||
| 19 | alsdenn überzeugt: daß das männliche Geschlecht, nicht die Ursache | ||||||
| 20 | sondern nur die entfernte Veranlaßung der Zeugung sei. | ||||||
| 21 | Und sollte wohl die behauptete Ähnlichkeit des Kindes, einen | ||||||
| 22 | völligen Beweis gegen den Ungenannten abgeben können? Ich glaube | ||||||
| 23 | nicht, daß dies weder nach rechts= noch nach physischen Gründen geschehen | ||||||
| 24 | könne: Auf diese Weise müßte z. e. manche Mutter beschuldigt | ||||||
| 25 | werden können, sie habe sich mit Thieren fleischlich vermischt; denn ich | ||||||
| 26 | habe unter andern in Leipzig einmahl ein 9 Iähriges Kind gesehen, | ||||||
| 27 | daß auf dem ganzen Leibe fast mit Hirsch Haaren bewachsen und sonst | ||||||
| 28 | auch, besonders an den Füßen, eine Hirsch=ähnliche Bildung hatte; das | ||||||
| 29 | leztere wird auch durch das Beispiel des leztverstorbenen Kurfürsten | ||||||
| 30 | von Sachsen erläutert. Überdem so kommen hundert Fälle vor, wo | ||||||
| 31 | man Ähnlichkeiten zwischen fremden Menschen in großer Maaße entdekt, | ||||||
| 32 | ohne daß der Verdacht statt haben kann, daß der eine dem andern | ||||||
| 33 | sein Daseyn zu verdanken. Und nun wäre auch noch zu untersuchen, ob | ||||||
| 34 | diese Ähnlichkeit des Kindes mit dem Ungenannten würklich da ist: die | ||||||
| 35 | Einbildungskraft kann hier vieles entdekken u. s. w. | ||||||
| 36 | Wenn nun der Ungenannte sich nicht bis zur Gewißheit überzeugen | ||||||
| 37 | kann (:So bald er einmahl Gelegenheit hat, einen erfahrnen Natur= und | ||||||
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