Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 342 |
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Text (Kant):
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| 01 | Art von sich hätte erhalten können, so würde ich wenigstens nicht auf | ||||||
| 02 | einen bösen Willen gerathen haben, ich hätte (was mir nicht unerwartet | ||||||
| 03 | war) die Schuld auf die Verfehlung meines Sinnes in den mehresten | ||||||
| 04 | meiner Sätze, und also auch großentheils auf mich selbst geworfen | ||||||
| 05 | und, anstatt einiger Bitterkeit in der Antwort, vielmehr gar | ||||||
| 06 | keine Antwort, oder allenfalls nur einige Klage darüber, daß man, | ||||||
| 07 | ohne die Grundveste anzugreifen, nur so schlechthin alles verurtheilen | ||||||
| 08 | wollte, ergehen lassen; nun aber herrschte durch und durch ein so übermüthiger | ||||||
| 09 | Ton der Gringschätzung und Arroganz durch die ganze Recension, | ||||||
| 10 | daß ich nothwendig bewogen werden mußte dieses große genie, | ||||||
| 11 | wo möglich ans Tageslicht zu ziehen, um durch Vergleichung seiner | ||||||
| 12 | Producte mit den Meinigen, so gring sie auch seyn mögen, doch zu | ||||||
| 13 | entscheiden, ob denn wirklich eine so große Überlegenheit auf seiner Seite | ||||||
| 14 | anzutreffen sey, oder ob nicht vielleicht eine gewisse Autorlist dahinter | ||||||
| 15 | stecke, um dadurch, daß man alles lobt, was mit denen Sätzen, die in | ||||||
| 16 | seinen eigenen Schriften liegen, übereinstimmt, und alles tadelt, was | ||||||
| 17 | dem entgegen ist, sich unter der Hand eine kleine Herrschaft über alle | ||||||
| 18 | Autoren in einem gewissen Fache zu errichten (die, wenn sie gut beurtheilt | ||||||
| 19 | seyn wollen, durchaus genöthigt seyn werden, Weyrauch zu | ||||||
| 20 | streuen und die Schriften dessen, den sie als Recens: vermuthen, als | ||||||
| 21 | ihren Leitfaden zu rühmen) und sich so allmählich ohne sonderliche | ||||||
| 22 | Mühe einen Nahmen zu erwerben. Urtheilen Sie hiernach, ob ich | ||||||
| 23 | meine Unzufriedenheit, wie Sie zu sagen belieben, gegen den Göttingschen | ||||||
| 24 | Recensenten auf eine etwas harte Weise bewiesen habe. | ||||||
| 25 | Nach der Erläuterung, die Sie mir in dieser Sache zu geben beliebt | ||||||
| 26 | haben, nach welcher der eigentliche Recensent im incognito | ||||||
| 27 | bleiben muß, fällt, so viel ich einsehe meine Erwartung, wegen der | ||||||
| 28 | anzunehmenden Ausfoderung, weg, er müßte denn sich derselben willkührlich | ||||||
| 29 | stellen, d. h. sich entdecken, in welchem Falle selbst ich mich | ||||||
| 30 | gleichwohl verbunden halte, von dem wahren Vorgange der Sache, wie | ||||||
| 31 | ich ihn aus Ihrem gütigen Berichte habe, nicht den mindesten | ||||||
| 32 | öffentlichen Gebrauch zu machen. Übrigens ist mir ein gelehrter | ||||||
| 33 | Streit mit Bitterkeit so unleidlich, und selbst der Gemüthszustand, | ||||||
| 34 | darinn man versetzt wird, wenn man ihn führen muß, so wiedernatürlich, | ||||||
| 35 | daß ich lieber die weitläuftigste Arbeit, zu Erläuterung und Rechtfertigung | ||||||
| 36 | des schon geschriebenen, gegen den schärfsten, aber nur auf Einsichten | ||||||
| 37 | ausgehenden Gegner übernehmen, als einen Affect in mir rege machen | ||||||
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