Kant: AA X, Briefwechsel 1772 , Seite 133 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | im detail darüber nicht auslassen. Allein, mein Freund, die Wirkung, | ||||||
| 02 | welche Unternehmungen von dieser Art in Ansehung des Zustandes | ||||||
| 03 | der Wissenschaften im gelehrten Publiko haben, ist so beschaffen: | ||||||
| 04 | daß sie, wenn ich über den Plan, den ich zu meinen mir am wichtigsten | ||||||
| 05 | scheinen[den] Arbeiten grösten Theils fertig vor mir habe, wegen | ||||||
| 06 | der Unpäßlichkeiten, die ihn vor der Ausführung zu unterbrechen | ||||||
| 07 | drohen, besorgt zu werden anfange, mich oft dadurch trösten da | ||||||
| 08 | sie eben so wohl vor den öffentlichen Nutzen verlohren seyn würden | ||||||
| 09 | wenn sie herauskämen als wenn sie auf immer unbekannt blieben. | ||||||
| 10 | Denn es gehöret ein Schriftsteller von mehr Ansehen u. Beredsamkeit | ||||||
| 11 | dazu um die Leser zu bewegen daß sie sich bey seiner Schrift | ||||||
| 12 | mit Nachdenken bemühen. | ||||||
| 13 | Ich habe Ihre Schrift in der Breslauischen und nur seit kurzem | ||||||
| 14 | in der Göttingischen Zeitung recensirt gefunden. Wenn das Publikum | ||||||
| 15 | den Geist einer Schrift und die Hauptabsicht so beurtheilt, so ist | ||||||
| 16 | alle Bemühung verlohren. Der Tadel selbst ist dem Verfasser angenehmer, | ||||||
| 17 | wenn der recensent sich die Mühe genommen hat das | ||||||
| 18 | wesentliche der Bemühung einzusehen, als das Lob bey flüchtiger | ||||||
| 19 | Beurtheilung. Der Göttingische recensent hält sich bey einigen Anwendungen | ||||||
| 20 | des Lehrbegrifs auf, die an sich zufällig sind und in Ansehung | ||||||
| 21 | deren ich selbst einiges seitdem geändert habe, indessen da | ||||||
| 22 | die Hauptabsicht dadurch nur noch mehr gewonnen hat. Ein Brief | ||||||
| 23 | von Mendelssohn oder Lambert verschlägt mehr, den Verfasser auf | ||||||
| 24 | die Prüfung seiner Lehren zurükzuführen, als zehn solche Beurtheilungen | ||||||
| 25 | mit leichter Feder. Der wackere Pastor Schultz, der beste philosophische | ||||||
| 26 | Kopf den ich in unsrer Gegend kenne, hat die Absicht des Lehrbegrifs | ||||||
| 27 | gut eingesehen; ich wünsche daß er sich auch mit ihrem Werkchen beschäftigen | ||||||
| 28 | möge. In seiner Beurtheilung kommen zwey misverstandene | ||||||
| 29 | Deutungen, des vor ihm liegenden Lehrbegrifs, vor. Die erste ist: da | ||||||
| 30 | der Raum wohl vielleicht, anstatt die reine Form der sinnlichen Erscheinung | ||||||
| 31 | zu seyn, ein wahres intellectuales Anschauen und als etwas | ||||||
| 32 | objectives seyn möge. Die klare Antwort ist diese: daß eben darum der | ||||||
| 33 | Raum vor nicht objectiv u. also auch nicht intellectual ausgegeben worden, | ||||||
| 34 | weil, wenn wir seine Vorstellung gantz zergliedern, wir darin weder | ||||||
| 35 | eine Vorstellung der Dinge, (als die nur im Raume seyn können) | ||||||
| 36 | noch eine Wirkliche Verknüpfung, (die ohne Dinge ohne dem nicht | ||||||
| 37 | statt finden kan) nemlich keine Wirkungen, keine Verhältnisse als | ||||||
| [ Seite 132 ] [ Seite 134 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||