| Kant: AA X, Briefwechsel 1766 , Seite 070 | |||||||
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| 01 | welcher ich meine Gedanken einzukleiden hätte ohne mich dem Gespötte | ||||||
| 02 | auszusetzen. Es schien mir also am rathsamsten andren dadurch zuvorzukommen | ||||||
| 03 | daß ich über mich selbst zuerst spottete wobey ich auch ganz | ||||||
| 04 | aufrichtig verfahren bin indem wirklich der Zustand meines Gemüths | ||||||
| 05 | hiebey wiedersinnisch ist und so wohl was die Erzehlung anlangt ich | ||||||
| 06 | mich nicht entbrechen kan eine kleine Anhänglichkeit an die Geschichte | ||||||
| 07 | von dieser Art als auch was die Vernunftgründe betrift einige Vermuthung | ||||||
| 08 | von ihrer Richtigkeit zu nähren ungeachtet der Ungereimtheiten | ||||||
| 09 | welche die erstere, und der Hirngespinste und unverstandlichen | ||||||
| 10 | Begriffe welche die letztere um ihren Werth bringen. | ||||||
| 11 | Was meine geäußerte Meinung von dem Werthe der Metaphysik | ||||||
| 12 | überhaupt betrift so mag vielleicht hin und wieder der Ausdruk nicht | ||||||
| 13 | vorsichtig und beschränkt gnug gewählt worden seyn allein ich verheele | ||||||
| 14 | gar nicht daß das ich die aufgeblasene Anmaßung gantzer Bände | ||||||
| 15 | voll Einsichten dieser Art so wie sie jetziger Zeit gangbar sind mit | ||||||
| 16 | Wiederwillen ja mit einigem Hasse ansehe indem ich mich vollkommen | ||||||
| 17 | überzeuge daß der Weg den man gewählt hat ganz verkehrt sey da | ||||||
| 18 | die im Schwang gehende Methoden den Wahn und die Irrthümer | ||||||
| 19 | ins unendliche vermehren müssen und daß selbst die gänzliche Vertilgung | ||||||
| 20 | aller dieser eingebildeten Einsichten nicht so schädlich seyn | ||||||
| 21 | könne als die erträumte Wissenschaft mit ihrer so verwünschten | ||||||
| 22 | Fruchtbarkeit. | ||||||
| 23 | Ich bin so weit entfernet die Methaphysik selbst, obiectiv erwogen, | ||||||
| 24 | vor gering oder entbehrlich zu halten daß ich vornemlich seit einiger | ||||||
| 25 | Zeit nachdem ich glaube ihre Natur und die ihr unter den Menschlichen | ||||||
| 26 | Erkentnissen eigenthümliche Stelle einzusehen überzeugt bin daß sogar | ||||||
| 27 | das wahre und dauerhafte Wohl des Menschlichen Geschlechts auf ihr | ||||||
| 28 | ankomme, eine Anpreisung die einem jeden andern als Ihnen phantastisch | ||||||
| 29 | und verwegen vorkommen wird. Solchen genies wie Ihnen mein Herr | ||||||
| 30 | kommet es zu in dieser Wissenschaft eine neue Epoche zu machen, die | ||||||
| 31 | Schnur gantz aufs neue anzulegen und den Plan zu dieser noch immer aufs | ||||||
| 32 | bloße Gerathewohl angebauten disciplin mit Meisterhand zu zeichnen. | ||||||
| 33 | Was aber den Vorrath vom Wissen betrift der in dieser Art öffentlich feil | ||||||
| 34 | steht so ist es kein leichtsinniger Unbestand sondern die Wirkung einer | ||||||
| 35 | langen Untersuchung daß ich in Ansehung desselben nichts rathsamer finde | ||||||
| 36 | als ihm das dogmatische Kleid abzuziehen und die vorgegebene Einsichten | ||||||
| 37 | sceptisch zu behandeln wovon der Nutze freylich nur negativ ist | ||||||
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