Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 095 |
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Text (Kant):
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| 01 | Äste, die Blätter selbst und abstrahire von der Größe, der Figur derselben u. s. w.; | ||||||
| 02 | so bekomme ich einen Begriff vom Baume. | ||||||
| 03 | 2. Man braucht in der Logik den Ausdruck Abstraction nicht immer richtig. | ||||||
| 04 | Wir müssen nicht sagen: Etwas abstrahiren ( abstrahere aliquid ), sondern | ||||||
| 05 | von Etwas abstrahiren ( abstrahere ab aliquo ). Wenn ich z. B. beim Scharlach | ||||||
| 06 | Tuche nur die rothe Farbe denke: so abstrahire ich vom Tuche, abstrahire | ||||||
| 07 | ich auch von diesem und denke mir den Scharlach als einen materiellen Stoff | ||||||
| 08 | überhaupt: so abstrahire ich von noch mehreren Bestimmungen, und mein Begriff | ||||||
| 09 | ist dadurch noch abstracter geworden. Denn je mehrere Unterschiede der | ||||||
| 10 | Dinge aus einem Begriffe weggelassen sind oder, von je mehreren Bestimmungen | ||||||
| 11 | in demselben abstrahirt worden: desto abstracter ist der Begriff. Abstracte | ||||||
| 12 | Begriffe sollte man daher eigentlich abstrahirende ( conceptus abstrahentes ) | ||||||
| 13 | nennen, d. h. solche, in denen mehrere Abstractionen vorkommen. So ist z. B. | ||||||
| 14 | der Begriff Körper eigentlich kein abstracter Begriff, denn vom Körper selbst | ||||||
| 15 | kann ich ja nicht abstrahiren, ich würde sonst nicht den Begriff von ihm haben. | ||||||
| 16 | Aber wohl muß ich von der Größe, der Farbe, der Härte oder Flüssigkeit, kurz: | ||||||
| 17 | von allen speciellen Bestimmungen besondrer Körper abstrahiren. Der abstracteste | ||||||
| 18 | Begriff ist der, welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas | ||||||
| 19 | gemein hat. Dieses ist der Begriff von Etwas, denn das von ihm Verschiedene | ||||||
| 20 | ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nichts gemein. | ||||||
| 21 | 3. Die Abstraction ist nur die negative Bedingung, unter welcher allgemeingültige | ||||||
| 22 | Vorstellungen erzeugt werden können, die positive ist die Comparation | ||||||
| 23 | und Reflexion. Denn durchs Abstrahiren wird kein Begriff, die Abstraction | ||||||
| 24 | vollendet ihn nur und schließt ihn in seine bestimmten Grenzen ein. | ||||||
| 25 | §. 7. |
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| 26 | Inhalt und Umfang der Begriffe. |
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| 27 | Ein jeder Begriff, als Theilbegriff, ist in der Vorstellung der | ||||||
| 28 | Dinge enthalten, als Erkenntnißgrund, d. i. als Merkmal sind diese | ||||||
| 29 | Dinge unter ihm enthalten. In der erstern Rücksicht hat jeder Begriff | ||||||
| 30 | einen Inhalt, in der andern einen Umfang. | ||||||
| 31 | Inhalt und Umfang eines Begriffes stehen gegen einander in umgekehrtem | ||||||
| 32 | Verhältnisse. Je mehr nämlich ein Begriff unter sich enthält, | ||||||
| 33 | desto weniger enthält er in sich und umgekehrt. | ||||||
| 34 | Anmerkung. Die Allgemeinheit oder Allgemeingültigkeit des Begriffes beruht | ||||||
| 35 | nicht darauf, daß der Begriff ein Theilbegriff, sondern daß er ein Erkenntnißgrund | ||||||
| 36 | ist. | ||||||
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