| Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 312 | |||||||
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| 01 | wollen; und selbst als eine solche enthält sie in einem schon bestehenden | ||||||
| 02 | Staat nicht ein Princip für den Unterthan sie zu erzwingen (wie vorher | ||||||
| 03 | gezeigt worden), sondern nur für zwangsfreie Oberhäupter. Ob es zwar | ||||||
| 04 | in der Natur des Menschen nach der gewöhnlichen Ordnung eben nicht | ||||||
| 05 | liegt, von seiner Gewalt willkürlich nachzulassen, gleichwohl es aber in | ||||||
| 06 | dringenden Umständen doch nicht unmöglich ist: so kann man es für einen | ||||||
| 07 | den moralischen Wünschen und Hoffnungen der Menschen (beim Bewußtsein | ||||||
| 08 | ihres Unvermögens) nicht unangemessenen Ausdruck halten, die dazu | ||||||
| 09 | erforderlichen Umstände von der Vorsehung zu erwarten: welche dem | ||||||
| 10 | Zwecke der Menschheit im Ganzen ihrer Gattung zu Erreichung ihrer | ||||||
| 11 | endlichen Bestimmung durch freien Gebrauch ihrer Kräfte, so weit sie | ||||||
| 12 | reichen, einen Ausgang verschaffen werde, welchem die Zwecke der Menschen, | ||||||
| 13 | abgesondert betrachtet, gerade entgegen wirken. Denn eben die | ||||||
| 14 | Entgegenwirkung der Neigungen, aus welchen das Böse entspringt, unter | ||||||
| 15 | einander verschafft der Vernunft ein freies Spiel, sie insgesammt zu unterjochen | ||||||
| 16 | und statt des Bösen, was sich selbst zerstört, das Gute, welches, | ||||||
| 17 | wenn es einmal da ist, sich fernerhin von selbst erhält, herrschend zu | ||||||
| 18 | machen. | ||||||
| 19 | Die menschliche Natur erscheint nirgend weniger liebenswürdig, als | ||||||
| 20 | im Verhältnisse ganzer Völker gegen einander. Kein Staat ist gegen den | ||||||
| 21 | andern wegen seiner Selbstständigkeit oder seines Eigenthums einen | ||||||
| 22 | Augenblick gesichert. Der Wille einander zu unterjochen oder an dem | ||||||
| 23 | Seinen zu schmälern ist jederzeit da; und die Rüstung zur Vertheidigung, | ||||||
| 24 | die den Frieden oft noch drückender und für die innere Wohlfahrt zerstörender | ||||||
| 25 | macht, als selbst den Krieg, darf nie nachlassen. Nun ist hierwider | ||||||
| 26 | kein anderes Mittel, als ein auf öffentliche mit Macht begleitete Gesetze, | ||||||
| 27 | denen sich jeder Staat unterwerfen müßte, gegründetes Völkerrecht (nach | ||||||
| 28 | der Analogie eines bürgerlichen oder Staatsrechts einzelner Menschen) | ||||||
| 29 | möglich; - denn ein daurender allgemeiner Friede durch die so genannte | ||||||
| 30 | Balance der Mächte in Europa ist, wie Swifts haus, welches von | ||||||
| 31 | einem Baumeister so vollkommen nach allen Gesetzen des Gleichgewichts | ||||||
| 32 | erbauet war, daß, als sich ein Sperling drauf setzte, es sofort einfiel, ein | ||||||
| 33 | bloßes Hirngespinst. - Aber solchen Zwangsgesetzen, wird man | ||||||
| 34 | sagen, werden sich Staaten doch nie unterwerfen; und der Vorschlag zu | ||||||
| 35 | einem allgemeinen Völkerstaat, unter dessen Gewalt sich alle einzelne | ||||||
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