Kant: AA VIII, Über eine Entdeckung, nach ... , Seite 205 |
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Text (Kant):
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| 01 | Erklärung davon gegeben, so würde er zugestanden haben, daß bei ihm | ||||||
| 02 | Sinnlichkeit nichts anders als der Zustand verworrener Vorstellungen in | ||||||
| 03 | einem Mannigfaltigen der Anschauung sei, welcher Rüge der Kritik er aber | ||||||
| 04 | ausweichen will. Wird dagegen das Wort empfindbar in eigentlicher Bedeutung | ||||||
| 05 | gebraucht, so ist offenbar: daß, wenn kein einfacher Theil eines Gegenstandes | ||||||
| 06 | der Sinne empfindbar ist, dieser als das Ganze selbst auch gar | ||||||
| 07 | nicht empfunden werden könne, und umgekehrt, wenn etwas ein Gegenstand | ||||||
| 08 | der Sinne und der Empfindung ist, alle einfache Theile es eben sowohl | ||||||
| 09 | sein müssen, obgleich an ihnen die Klarheit der Vorstellung mangeln | ||||||
| 10 | mag: daß aber diese Dunkelheit der Theilvorstellungen eines Ganzen, so | ||||||
| 11 | fern der Verstand nur einsieht, daß sie gleichwohl in demselben und seiner | ||||||
| 12 | Anschauung enthalten sein müssen, sie nicht über die Sphäre der Sinnlichkeit | ||||||
| 13 | hinausversetzen und zu Verstandeswesen machen könne. Newtons | ||||||
| 14 | kleine Blättchen, daraus die Farbetheilchen der Körper bestehen, hat noch | ||||||
| 15 | kein Mikroskop entdecken können, sondern der Verstand erkennt (oder vermuthet) | ||||||
| 16 | nicht allein ihr Dasein, sondern auch daß sie wirklich in unserer | ||||||
| 17 | empirischen Anschauung, obzwar ohne Bewußtsein, vorgestellt werden. | ||||||
| 18 | Darum sie aber für gar nicht=empfindbar und nun weiter für Verstandeswesen | ||||||
| 19 | auszugeben, ist niemanden von seinen Anhängern in den Sinn gekommen; | ||||||
| 20 | nun ist aber zwischen so kleinen Theilen und gänzlich einfachen | ||||||
| 21 | Theilen weiter kein Unterschied, als in dem Grade der Verminderung. | ||||||
| 22 | Alle Theile müssen nothwendig Gegenstände der Sinne sein, wenn das | ||||||
| 23 | Ganze es sein soll. | ||||||
| 24 | Daß aber von einem einfachen Theile kein Bild stattfindet, ob er | ||||||
| 25 | zwar selbst ein Theil von einem Bilde, d. i. von einer sinnlichen Anschauung, | ||||||
| 26 | ist, kann ihn nicht in die Sphäre des Übersinnlichen erheben. | ||||||
| 27 | Einfache Wesen müssen allerdings (wie die Kritik zeigt) über die Grenze | ||||||
| 28 | des Sinnlichen erhoben gedacht und ihrem Begriffe kann kein Bild, d. i. | ||||||
| 29 | irgend eine Anschauung, correspondirend gegeben werden; aber alsdann | ||||||
| 30 | kann man sie auch nicht als Theile zum Sinnlichen zählen. Werden sie | ||||||
| 31 | aber doch (wider alle Beweise der Mathematik) dazu gezählt, so folgt | ||||||
| 32 | daraus, daß ihnen kein Bild correspondirt, gar nicht, daß ihre Vorstellung | ||||||
| 33 | etwas Übersinnliches sei; denn sie ist einfache Empfindung, mithin | ||||||
| 34 | Element der Sinnlichkeit, und der Verstand hat sich dadurch nicht mehr | ||||||
| 35 | über die Sinnlichkeit erhoben, als wenn er sie zusammengesetzt gedacht | ||||||
| 36 | hätte. Denn der letztere Begriff, von dem der erstere nur die Negation | ||||||
| 37 | ist, ist eben sowohl ein Verstandesbegriff. Nur alsdann hätte er sich | ||||||
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