Kant: AA VIII, Über eine Entdeckung, nach ... , Seite 202 |
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| 01 | Verhältnissen, mithin eine Gestalt in sich enthält, verstanden wird) geben | ||||||
| 02 | läßt. Hat diese (nicht sehr feine) Täuschung bei ihm angeschlagen, so | ||||||
| 03 | glaubt er, das Eigentlich=Einfache, was der Verstand sich an Dingen denkt, | ||||||
| 04 | die blos in der Idee angetroffen werden, sei ihm nun (ohne daß er den | ||||||
| 05 | Widerspruch bemerkt) an Gegenständen der Sinne gewiesen und so die | ||||||
| 06 | objective Realität dieses Begriffs an einer Anschauung dargethan worden. | ||||||
| 07 | - Jetzt wollen wir den Beweis in ausführlichere Prüfung ziehen. | ||||||
| 08 | Der Beweis gründet sich auf zwei Angaben: erstlich, daß die concrete | ||||||
| 09 | Zeit und Raum aus einfachen Elementen bestehen: zweitens, da | ||||||
| 10 | diese Elemente gleichwohl nichts Sinnliches, sondern Verstandeswesen | ||||||
| 11 | sind. Diese Angaben sind zugleich eben so viel Unrichtigkeiten, die erste, | ||||||
| 12 | weil sie der Mathematik, die zweite, weil sie sich selbst widerspricht. | ||||||
| 13 | Was die erste Unrichtigkeit betrifft, so können wir dabei kurz sein. | ||||||
| 14 | Obgleich Herr Eberhard mit den Mathematikern (ungeachtet seiner öfteren | ||||||
| 15 | Anführung derselben) in keiner sonderlichen Bekanntschaft zu stehen scheint, | ||||||
| 16 | so wird er doch wohl den Beweis, den Keil in seiner introductio in veram | ||||||
| 17 | physicam durch die bloße Durchschneidung einer geraden Linie von unendlich | ||||||
| 18 | vielen andern führt, verständlich finden und daraus ersehen: da | ||||||
| 19 | es keine einfache Elemente derselben geben könne nach dem bloßen Grundsatze | ||||||
| 20 | der Geometrie: daß durch zwei gegebene Punkte nicht mehr als eine | ||||||
| 21 | gerade Linie gehen könne. Diese Beweisart kann noch auf vielfache Art | ||||||
| 22 | variirt werden und begreift zugleich den Beweis der Unmöglichkeit einfache | ||||||
| 23 | Theile in der Zeit anzunehmen, wenn man die Bewegung eines | ||||||
| 24 | Punkts in einer Linie zum Grunde legt. - Nun kann man hier nicht die | ||||||
| 25 | Ausflucht suchen, die concrete Zeit und der concrete Raum sei demjenigen | ||||||
| 26 | nicht unterworfen, was die Mathematik von ihrem abstracten Raume (und | ||||||
| 27 | Zeit) als einem Wesen der Einbildung beweiset. Denn nicht allein da | ||||||
| 28 | auf diese Art die Physik in sehr vielen Fällen (z. B. in den Gesetzen des | ||||||
| 29 | Falles der Körper) besorgt werden müßte in Irrthum zu gerathen, wenn | ||||||
| 30 | sie den apodiktischen Lehren der Geometrie genau folgt, so läßt sich eben | ||||||
| 31 | so apodiktisch beweisen, daß ein jedes Ding im Raume, eine jede Veränderung | ||||||
| 32 | in der Zeit, so bald sie einen Theil des Raumes oder der Zeit | ||||||
| 33 | einnehmen, grade in so viel Dinge und in so viel Veränderungen getheilt | ||||||
| 34 | werden, als in die der Raum oder die Zeit, welche sie einnahmen, getheilt | ||||||
| 35 | werden. Um auch das Paradoxe zu heben, welches man hiebei fühlt (indem | ||||||
| 36 | die Vernunft, welche allem Zusammengesetzten zuletzt das Einfache | ||||||
| 37 | zum Grunde zu legen bedarf, sich daher dem, was die Mathematik an der | ||||||
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