Kant: AA VIII, Einige Bemerkungen zu Ludwig ... , Seite 151 |
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| 01 | Wenn man die letzte Mendelssohn'sche von ihm selbst herausgegebene | ||||||
| 02 | Schrift liest und das nicht im mindesten geschwächte Vertrauen dieses | ||||||
| 03 | versuchten Philosophen auf die demonstrative Beweisart des wichtigsten | ||||||
| 04 | aller Sätze der reinen Vernunft darin wahrnimmt, so geräth man | ||||||
| 05 | in Versuchung, die engen Grenzen, welche scrupulöse Kritik diesem Erkenntnißvermögen | ||||||
| 06 | setzt, wohl für ungegründete Bedenklichkeit zu halten | ||||||
| 07 | und durch die That alle Einwürfe gegen die Möglichkeit einer solchen | ||||||
| 08 | Unternehmung für widerlegt anzusehen. Nun scheint es zwar einer guten | ||||||
| 09 | und der menschlichen Vernunft unentbehrlichen Sache zum wenigsten nicht | ||||||
| 10 | nachtheilig zu sein, daß sie allenfalls auf Vermuthungen gegründet werde, | ||||||
| 11 | die einer oder der andere für förmliche Beweise halten mag; denn man | ||||||
| 12 | muß am Ende doch auf denselben Satz, es sei durch welchen Weg es wolle, | ||||||
| 13 | kommen, weil Vernunft ihr selbst ohne denselben niemals völlig Gnüge | ||||||
| 14 | leisten kann. Allein es tritt hier eine wichtige Bedenklichkeit in Ansehung | ||||||
| 15 | des Weges ein, den man einschlägt. Denn räumt man der reinen Vernunft | ||||||
| 16 | in ihrem speculativen Gebrauch einmal das Vermögen ein, sich über | ||||||
| 17 | die Grenzen des Sinnlichen hinaus durch Einsichten zu erweitern, so ist | ||||||
| 18 | es nicht mehr möglich, sie bloß auf diesen Gegenstand einzuschränken; | ||||||
| 19 | und nicht genug, daß sie alsdann für alle Schwärmerei ein weites Feld | ||||||
| 20 | geöffnet findet, so traut sie sich auch zu, selbst über die Möglichkeit eines | ||||||
| 21 | höchsten Wesens (nach demjenigen Begriffe, den die Religion braucht) | ||||||
| 22 | durch Vernünfteleien zu entscheiden - wie wir davon an Spinoza und | ||||||
| 23 | selbst zu unserer Zeit Beispiele antreffen - und so durch angemaßten | ||||||
| 24 | Dogmatismus jenen Satz mit eben der Kühnheit zu stürzen, mit welcher | ||||||
| 25 | man ihn errichten zu können sich gerühmt hat; statt dessen, wenn diesem | ||||||
| 26 | in Ansehung des Übersinnlichen durch Strenge Kritik die Flügel beschnitten | ||||||
| 27 | werden, jener Glaube in einer praktisch=wohlgegründeten, theoretisch aber | ||||||
| 28 | unwiderleglichen Voraussetzung völlig gesichert sein kann. Daher ist eine | ||||||
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