Kant: AA VIII, Muthmaßlicher Anfang der ... , Seite 123 |
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| 01 | weil er ihm nicht genügt; noch weniger sei er geneigt, jemals wieder in | ||||||
| 02 | denselben zurückzukehren; so daß er also den gegenwärtigen Zustand der | ||||||
| 03 | Mühseligkeiten doch immer sich selbst und seiner eigenen Wahl beizumessen | ||||||
| 04 | habe. | ||||||
| 05 | Es ist also dem Menschen eine solche Darstellung seiner Geschichte | ||||||
| 06 | ersprießlich und dienlich zur Lehre und zur Besserung, die ihm zeigt: da | ||||||
| 07 | er der Vorsehung wegen der Übel, die ihn drücken, keine Schuld geben | ||||||
| 08 | müsse; daß er seine eigene Vergehung auch nicht einem ursprünglichen | ||||||
| 09 | Verbrechen seiner Stammeltern zuzuschreiben berechtigt sei, wodurch etwa | ||||||
| 10 | ein Hang zu ähnlichen Übertretungen in der Nachkommenschaft erblich geworden | ||||||
| 11 | wäre (denn willkürliche Handlungen können nichts Anerbendes bei | ||||||
| 12 | sich führen); sondern daß er das von jenen geschehene mit vollem Rechte | ||||||
| 13 | als von ihm selbst gethan anerkennen und sich also von allen Übeln, die | ||||||
| 14 | aus dem Mißbrauche seiner Vernunft entspringen, die Schuld gänzlich | ||||||
| 15 | selbst beizumessen habe, indem er sich sehr wohl bewußt werden kann, er | ||||||
| 16 | würde sich in denselben Umständen gerade eben so verhalten und den | ||||||
| 17 | ersten Gebrauch der Vernunft damit gemacht haben, sie (selbst wider den | ||||||
| 18 | Wink der Natur) zu mißbrauchen. Die eigentlichen physischen Übel, wenn | ||||||
| 19 | jener Punkt wegen der moralischen berechtigt ist, können alsdann in der | ||||||
| 20 | Gegenrechnung von Verdienst und Schuld schwerlich einen Überschuß zu | ||||||
| 21 | unserem Vortheil austragen. | ||||||
| 22 | Und so ist der Ausschlag einer durch Philosophie versuchten ältesten | ||||||
| 23 | Menschengeschichte: Zufriedenheit mit der Vorsehung und dem Gange | ||||||
| 24 | menschlicher Dinge im Ganzen, der nicht vom Guten anhebend zum Bösen | ||||||
| 25 | fortgeht, sondern sich vom Schlechtern zum Besseren allmählig entwickelt; | ||||||
| 26 | zu welchem Fortschritte denn ein jeder an seinem Theile, so viel in seinen | ||||||
| 27 | Kräften steht, beizutragen durch die Natur selbst berufen ist. | ||||||
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