Kant: AA VIII, Beantwortung der Frage: Was ist ... , Seite 035 |
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| 01 | Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst | ||||||
| 02 | verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, | ||||||
| 03 | sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet | ||||||
| 04 | ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am | ||||||
| 05 | Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, | ||||||
| 06 | sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. sapere aude! habe | ||||||
| 07 | Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch | ||||||
| 08 | der Aufklärung. | ||||||
| 09 | Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil | ||||||
| 10 | der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen | ||||||
| 11 | ( naturaliter maiorennes ), dennoch gerne zeitlebens unmündig | ||||||
| 12 | bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern | ||||||
| 13 | aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, | ||||||
| 14 | das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, | ||||||
| 15 | einen Arzt, der für mich die Diät beurtheilt, etc., so brauche ich mich mich | ||||||
| 16 | ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur | ||||||
| 17 | bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich | ||||||
| 18 | übernehmen. Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter | ||||||
| 19 | das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem da | ||||||
| 20 | er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene | ||||||
| 21 | Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. | ||||||
| 22 | Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, | ||||||
| 23 | daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, | ||||||
| 24 | darin sie sie einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher | ||||||
| 25 | die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie es versuchen allein zu gehen. | ||||||
| 26 | Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch | ||||||
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