Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 305 |
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| 01 | entdeckt sich der weibliche Charakter: mit ihrer Gunst gegen Männer auf | ||||||
| 02 | Freiheit und dabei zugleich auf Eroberung dieses ganzen Geschlechts Anspruch | ||||||
| 03 | zu machen. - Diese Neigung, ob sie zwar unter dem Namen der | ||||||
| 04 | Koketterie in übelem Ruf steht, ist doch nicht ohne einen wirklichen Grund | ||||||
| 05 | zur Rechtfertigung. Denn eine junge Frau ist doch immer in Gefahr, | ||||||
| 06 | Wittwe zu werden, und das macht, daß sie ihre Reize über alle den Glücksumständen | ||||||
| 07 | nach ehefähige Männer ausbreitet: damit, wenn jener Fall | ||||||
| 08 | sich ereignet, es ihr nicht an Bewerbern fehlen möge. | ||||||
| 09 | Pope glaubt, man könne das weibliche Geschlecht (versteht sich, den | ||||||
| 10 | cultivirten Theil desselben) durch zwei Stücke charakterisiren: die Neigung | ||||||
| 11 | zu herrschen und die Neigung zum Vergnügen. - Von dem letzteren | ||||||
| 12 | aber muß man nicht das häusliche, sondern das öffentliche Vergnügen | ||||||
| 13 | verstehen, wobei es sich zu ihrem Vortheil zeigen und auszeichnen könne; | ||||||
| 14 | da dann die zweite sich auch in die erstere auflöst, nämlich: ihren Nebenbuhlerinnen | ||||||
| 15 | im Gefallen nicht nachzugeben, sondern über sie alle durch | ||||||
| 16 | ihren Geschmack und ihre Reize wo möglich zu siegen. - - Aber auch | ||||||
| 17 | die erst genannte Neigung, so wie Neigung überhaupt taugt nicht zum | ||||||
| 18 | Charakterisiren einer Menschenclasse überhaupt in ihrem Verhalten gegen | ||||||
| 19 | Andere. Denn Neigung zu dem, was uns vortheilhaft ist, ist allen Menschen | ||||||
| 20 | gemein, mithin auch die, so viel uns möglich, zu herrschen; daher | ||||||
| 21 | charakterisirt sie nicht. - Daß aber dieses Geschlecht mit sich selbst in | ||||||
| 22 | beständiger Fehde, dagegen mit dem anderen in recht gutem Vernehmen | ||||||
| 23 | ist, möchte eher zum Charakter desselben gerechnet werden können, wenn | ||||||
| 24 | es nicht die bloße natürliche Folge des Wetteifers wäre, eine der anderen | ||||||
| 25 | in der Gunst und Ergebenheit der Männer den Vortheil abzugewinnen. | ||||||
| 26 | Da dann die Neigung zu herrschen das wirkliche Ziel, das öffentliche | ||||||
| 27 | Vergnügen aber, als durch welches der Spielraum ihrer Reize | ||||||
| 28 | erweitert wird, nur das Mittel ist jener Neigung Effect zu verschaffen. | ||||||
| 29 | Man kann nur dadurch, daß man, nicht was wir uns zum Zweck | ||||||
| 30 | machen, sondern was Zweck der Natur bei Einrichtung der Weiblichkeit | ||||||
| 31 | war, als Princip braucht, zu der Charakteristik dieses Geschlechts gelangen, | ||||||
| 32 | und da dieser Zweck selbst vermittelst der Thorheit der Menschen | ||||||
| 33 | doch der Naturabsicht nach Weisheit sein muß: so werden diese ihre muthmaßlichen | ||||||
| 34 | Zwecke auch das Princip derselben anzugeben dienen können, | ||||||
| 35 | welches nicht von unserer Wahl, sondern von einer höheren Absicht mit | ||||||
| 36 | dem menschlichen Geschlecht abhängt. Sie sind 1. Die Erhaltung der Art, | ||||||
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