Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 287 |
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| 01 | wodurch dann die alten Formen beibehalten werden können und | ||||||
| 02 | nur eine dem Geist dieser Temperamentenlehre angepaßte bequemere Deutung | ||||||
| 03 | erhalten. | ||||||
| 04 | Hiebei dient der Ausdruck der Blutbeschaffenheit nicht dazu, die | ||||||
| 05 | Ursache der Phänomene des sinnlich afficirten Menschen anzugeben, | ||||||
| 06 | es sei nach der Humoral= oder der Nervenpathologie; sondern sie nur den | ||||||
| 07 | beobachteten Wirkungen nach zu classificiren; denn man verlangt nicht | ||||||
| 08 | vorher zu wissen, welche chemische Blutmischung es sei, die zur Benennung | ||||||
| 09 | einer gewissen Temperamentseigenschaft berechtige, sondern welche Gefühle | ||||||
| 10 | und Neigungen man bei der Beobachtung des Menschen zusammenstellt, | ||||||
| 11 | um für ihn den Titel einer besonderen Classe schicklich anzugeben. | ||||||
| 12 | Die Obereintheilung der Temperamentenlehre kann also die sein: in | ||||||
| 13 | Temperamente des Gefühls und Temperamente der Thätigkeit, und | ||||||
| 14 | diese kann durch Untereintheilung wiederum in zwei Arten zerfallen, die | ||||||
| 15 | zusammen die 4 Temperamente geben. - Zu den Temperamenten des | ||||||
| 16 | Gefühls zähle ich nun das sanguinische, A, und sein Gegenstück, das | ||||||
| 17 | melancholische, B. - Das erstere hat nun die Eigenthümlichkeit, daß | ||||||
| 18 | die Empfindung schnell und stark afficirt wird, aber nicht tief eindringt | ||||||
| 19 | (nicht dauerhaft ist); dagegen in dem zweiten die Empfindung weniger | ||||||
| 20 | auffallend ist, aber sich tief einwurzelt. Hierin muß man diesen Unterschied | ||||||
| 21 | der Temperamente des Gefühls und nicht in den Hang zur Fröhlichkeit | ||||||
| 22 | oder Traurigkeit setzen. Denn der Leichtsinn der Sanguinischen | ||||||
| 23 | disponirt zur Lustigkeit, der Tiefsinn dagegen, der über einer Empfindung | ||||||
| 24 | brütet, benimmt dem Frohsinn seine leichte Veränderlichkeit, ohne darum | ||||||
| 25 | eben Traurigkeit zu bewirken. - Weil aber alle Abwechselung, die man | ||||||
| 26 | in seiner Gewalt hat, das Gemüth überhaupt belebt und stärkt, so ist der, | ||||||
| 27 | welcher alles, was ihm begegnet, auf die leichte Achsel nimmt, wenn gleich | ||||||
| 28 | nicht weiser, doch gewiß glücklicher, als der an Empfindungen klebt, die | ||||||
| 29 | seine Lebenskraft starren machen. | ||||||
| 30 | I |
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| 31 | Temperamente des Gefühls. |
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| 32 | A. |
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| 33 | Das sanguinische Temperament des Leichtblütigen. |
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| 34 | Der Sanguinische giebt seine Sinnesart an folgenden Äußerungen | ||||||
| 35 | zu erkennen. Er ist sorglos und von guter Hoffnung; giebt jedem Dinge | ||||||
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