Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 255 |
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| 01 | Sterbelisten ersehen, daß doch mehr Menschen durch die erstere als durch | ||||||
| 02 | die letztere das Leben plötzlich verloren haben: weil der Hoffnung, als | ||||||
| 03 | Affect durch die unerwartete Eröffnung der Aussicht in ein nicht auszumessendes | ||||||
| 04 | Glück das Gemüth sich ganz überläßt und so der Affect bis zum | ||||||
| 05 | Ersticken steigend ist; dagegen dem immer fürchtenden Grame doch natürlicherweise | ||||||
| 06 | vom Gemüth auch immer noch widerstritten wird und er also | ||||||
| 07 | nur langsam tödtend ist. | ||||||
| 08 | Der Schreck ist die plötzlich erregte Furcht, welche das Gemüth | ||||||
| 09 | außer Fassung bringt. Einem Schreck ähnlich ist das Auffallende, was | ||||||
| 10 | stutzig (noch nicht bestürzt) macht und was das Gemüth erweckt, sich zur | ||||||
| 11 | Überlegung zu sammeln; es ist der Anreiz zur Verwunderung (welche | ||||||
| 12 | schon Überlegung in sich enthält). Erfahrenen widerfährt das nicht so | ||||||
| 13 | leicht; aber zur Kunst gehört es, das Gewöhnliche von einer Seite, da es | ||||||
| 14 | auffallend wird, vorzustellen. Der Zorn ist ein Schreck, der zugleich die | ||||||
| 15 | Kräfte zum Widerstand gegen das Übel schnell rege macht. Furcht über | ||||||
| 16 | einen unbestimmtes Übel drohenden Gegenstand ist Bangigkeit. Es | ||||||
| 17 | kann einem Bangigkeit anhängen, ohne ein besonderes Object dazu zu | ||||||
| 18 | wissen: eine Beklommenheit aus bloß subjectiven Ursachen (einem krankhaften | ||||||
| 19 | Zustande). Scham ist Angst aus der besorgten Verachtung einer | ||||||
| 20 | gegenwärtigen Person und, als solche, ein Affect. Sonst kann einer | ||||||
| 21 | sich auch empfindlich schämen ohne Gegenwart dessen( vor dem er sich | ||||||
| 22 | schämt; aber dann ist es kein Affect, sondern wie der Gram eine Leidenschaft | ||||||
| 23 | sich selbst mit Verachtung anhaltend, aber vergeblich zu quälen; | ||||||
| 24 | die Scham dagegen, als Affect, muß plötzlich eintreten. | ||||||
| 25 | Affecten sind überhaupt krankhafte Zufälle (Symptomen) und können | ||||||
| 26 | (nach einer Analogie mit Browns System) in sthenische, aus Stärke, | ||||||
| 27 | und asthenische, aus Schwäche, eingetheilt werden. Jene sind von der | ||||||
| 28 | erregenden, dadurch aber oft auch erschöpfenden, diese von einer die | ||||||
| 29 | Lebenskraft abspannenden, aber oft dadurch auch Erholung vorbereitenden | ||||||
| 30 | Beschaffenheit. - Lachen mit Affect ist eine convulsivische Fröhlichkeit. | ||||||
| 31 | Weinen begleitet die schmelzende Empfindung eines ohnmächtigen | ||||||
| 32 | Zürnens mit dem Schicksal, oder mit andern Menschen gleich einer von | ||||||
| 33 | ihnen erlittenen Beleidigung; und diese Empfindung ist Wehmuth. | ||||||
| 34 | Beide aber, das Lachen und das Weinen, heitern auf; denn es sind Befreiungen | ||||||
| 35 | von einem Hinderniß der Lebenskraft durch Ergießungen (man | ||||||
| 36 | kann nämlich auch bis zu Thränen lachen, wenn man bis zur Erschöpfung | ||||||
| 37 | lacht). Lachen ist männlich, Weinen dagegen weiblich (beim Manne | ||||||
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