Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 240 |
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| 01 | des Subjects sind, also äußeren Gegenständen nicht beigelegt | ||||||
| 02 | werden können. - - Der Wohlgeschmack enthält also zugleich den Begriff | ||||||
| 03 | von einer Unterscheidung durch Wohlgefallen oder Mißfallen, welche ich | ||||||
| 04 | mit der Vorstellung des Gegenstandes in der Wahrnehmung oder Einbildung | ||||||
| 05 | verbinde. | ||||||
| 06 | Nun wird aber auch das Wort Geschmack für ein sinnliches Beurtheilungsvermögen | ||||||
| 07 | genommen, nicht blos nach der Sinnesempfindung für | ||||||
| 08 | mich selbst, sondern auch nach einer gewissen Regel zu wählen, die als für | ||||||
| 09 | jedermann geltend vorgestellt wird. Diese Regel kann empirisch sein, | ||||||
| 10 | wo sie aber alsdann auf keine wahre Allgemeinheit, folglich auch nicht auf | ||||||
| 11 | Nothwendigkeit (es müsse im Wohlgeschmack jedes Anderen Urtheil mit | ||||||
| 12 | dem meinigen übereinstimmen) - Anspruch machen kann. So gilt nämlich | ||||||
| 13 | die Geschmacksregel in Ansehung der Mahlzeiten für die Deutschen, | ||||||
| 14 | mit einer Suppe, für Engländer aber, mit derber Kost anzufangen: weil | ||||||
| 15 | eine durch Nachahmung allmählig verbreitete Gewohnheit es zur Regel | ||||||
| 16 | der Anordnung einer Tafel gemacht hat. | ||||||
| 17 | Aber es giebt auch einen Wohlgeschmack, dessen Regel a priori begründet | ||||||
| 18 | sein muß, weil sie Nothwendigkeit, folglich auch Gültigkeit für | ||||||
| 19 | jedermann ankündigt, wie die Vorstellung eines Gegenstandes in Beziehung | ||||||
| 20 | auf das Gefühl der Lust oder Unlust zu beurtheilen sei (wo also | ||||||
| 21 | die Vernunft ingeheim mit im Spiel ist, ob man zwar das Urtheil derselben | ||||||
| 22 | nicht aus Vernunftprincipien ableiten und es darnach beweisen | ||||||
| 23 | kann); und diesen Geschmack könnte man den vernünftelnden zum Unterschiede | ||||||
| 24 | vom empirischen als dem Sinnengeschmack (jenen gustus reflectens, | ||||||
| 25 | diesen reflexus ) nennen. | ||||||
| 26 | Alle Darstellung seiner eigenen Person oder seiner Kunst mit | ||||||
| 27 | Geschmack setzt einen gesellschaftlichen Zustand (sich mitzutheilen) | ||||||
| 28 | voraus, der nicht immer gesellig (theilnehmend an der Lust Anderer), | ||||||
| 29 | sondern im Anfange gemeiniglich barbarisch, ungesellig und bloß wetteifernd | ||||||
| 30 | ist. - In völliger Einsamkeit wird niemand sich sein Haus schmücken | ||||||
| 31 | oder ausputzen; er wird es auch nicht gegen die Seinigen (Weib und | ||||||
| 32 | Kinder), sondern nur gegen Fremde thun, um sich vortheilhaft zu zeigen. | ||||||
| 33 | Im Geschmack (der Auswahl) aber, d. i. in der ästhetischen Urtheilskraft, | ||||||
| 34 | ist es nicht unmittelbar die Empfindung (das Materiale der Vorstellung | ||||||
| 35 | des Gegenstandes), sondern wie es die freie (productive) Einbildungskraft | ||||||
| 36 | durch Dichtung zusammenpaart, d. i. die Form, was das Wohlgefallen | ||||||
| 37 | an demselben hervorbringt: denn nur die Form ist es, was des Anspruchs | ||||||
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