Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 139 |
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| 01 | seines historischen Wissens dabei doch sehr bornirt sein. - Der, | ||||||
| 02 | dessen Verfahren mit dem, was er gelernt hat, in der öffentlichen Mittheilung | ||||||
| 03 | den Zwang der Schule (als Mangel der Freiheit im Selbstdenken) | ||||||
| 04 | verräth, ist der Pedant; er mag übrigens Gelehrter oder Soldat, oder | ||||||
| 05 | gar Hofmann sein. Unter diesen ist der gelehrte Pedant im Grunde noch | ||||||
| 06 | der erträglichste, weil man doch von ihm lernen kann: da hingegen die | ||||||
| 07 | Peinlichkeit in Formalien (die Pedanterie) bei den letzteren nicht allein | ||||||
| 08 | nutzlos, sondern auch wegen des Stolzes, der dem Pedanten unvermeidlich | ||||||
| 09 | anhängt, obenein lächerlich wird, da es der Stolz eines Ignoranten ist. | ||||||
| 10 | Die Kunst aber oder vielmehr die Gewandtheit im gesellschaftlichen | ||||||
| 11 | Tone zu sprechen und sich überhaupt modisch zu zeigen, welche, vornehmlich | ||||||
| 12 | wenn es Wissenschaft betrifft, fälschlich Popularität genannt wird, | ||||||
| 13 | da sie vielmehr geputzte Seichtigkeit heißen sollte, deckte manche Armseligkeit | ||||||
| 14 | des eingeschränkten Kopfs. Aber nur Kinder lassen sich dadurch irre | ||||||
| 15 | leiten. "Deine Trommel (sagte der Quäker beim Addison zu dem in der | ||||||
| 16 | Kutsche neben ihm schwatzenden Officier) ist ein Sinnbild von dir: sie | ||||||
| 17 | klingt, weil sie leer ist." | ||||||
| 18 | Um die Menschen nach ihrem Erkenntnißvermögen (dem Verstande | ||||||
| 19 | überhaupt) zu beurtheilen, theilt man sie in diejenigen ein, denen Gemeinsinn | ||||||
| 20 | ( sensus communis ), der freilich nicht gemein ( sensus vulgaris ) | ||||||
| 21 | ist, zugestanden werden muß, und in Leute von Wissenschaft. Die erstern | ||||||
| 22 | sind der Regeln Kundige in Fällen der Anwendung ( in concreto ), die | ||||||
| 23 | andern für sich selbst und vor ihrer Anwendung ( in abstracto ). - Man | ||||||
| 24 | nennt den Verstand, der zu dem ersteren Erkenntnißvermögen gehört, den | ||||||
| 25 | gesunden Menschenverstand ( bon sens ), den zum zweiten den hellen | ||||||
| 26 | Kopf ( ingenium perspicax ). - Es ist merkwürdig, daß man sich den | ||||||
| 27 | ersteren, welcher gewöhnlich nur als praktisches Erkenntnißvermögen betrachtet | ||||||
| 28 | wird, nicht allein als einen, welcher der Cultur entbehren kann, | ||||||
| 29 | sondern als einen solchen, dem sie wohl gar nachtheilig ist, wenn sie nicht | ||||||
| 30 | weit genug getrieben wird, vorstellig macht, ihn daher bis zur Schwärmerei | ||||||
| 31 | hochpreiset und ihn als eine Fundgrube in den Tiefen des Gemüths verborgen | ||||||
| 32 | liegender Schätze vorstellt, auch bisweilen seinen Ausspruch als | ||||||
| 33 | Orakel (den Genius des Sokrates) für zuverlässiger erklärt als Alles, was | ||||||
| 34 | studirte Wissenschaft immer zu Markte bringen würde. - So viel ist gewiß, | ||||||
| 35 | daß, wenn die Auflösung einer Frage auf den allgemeinen und angebornen | ||||||
| 36 | Regeln des Verstandes (deren Besitz Mutterwitz genannt wird) beruht, | ||||||
| 37 | es unsicherer ist, sich nach studirten und künstlich aufgestellten Principien | ||||||
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