Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 138 |
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| 01 | aber, wodurch auch die Zusammensetzung der Vorstellungen klar | ||||||
| 02 | wird, heißt Deutlichkeit. Die letztere macht es allein, daß eine Summe | ||||||
| 03 | von Vorstellungen Erkenntniß wird; worin dann, weil eine jede Zusammensetzung | ||||||
| 04 | mit Bewußtsein Einheit desselben, folglich eine Regel für | ||||||
| 05 | jene voraussetzt, Ordnung in diesem Mannigfaltigen gedacht wird. | ||||||
| 06 | Der deutlichen Vorstellung kann man nicht die verworrene ( perceptio | ||||||
| 07 | confusa ), sondern muß ihr blos die undeutliche ( mere clara ) entgegensetzen. | ||||||
| 08 | Was verworren ist, muß zusammengesetzt sein; denn im Einfachen | ||||||
| 09 | giebt es weder Ordnung noch Verwirrung. Die letztere ist also die Ursache | ||||||
| 10 | der Undeutlichkeit, nicht die Definition derselben. - In jeder | ||||||
| 11 | vielhaltigen Vorstellung ( perceptio complexa ) , dergleichen ein jedes Erkenntniß | ||||||
| 12 | ist (weil dazu immer Anschauung und Begriff erfordert wird), | ||||||
| 13 | beruht die Deutlichkeit auf der Ordnung, nach der die Theilvorstellungen | ||||||
| 14 | zusammengesetzt werden, die dann entweder (die bloße Form betreffend) | ||||||
| 15 | eine blos logische Eintheilung in obere und untergeordnete ( perceptio | ||||||
| 16 | primaria et secundaria ), oder eine reale Eintheilung in Haupt= und | ||||||
| 17 | Nebenvorstellungen ( perceptio principalis et adhaerens ) veranlassen; | ||||||
| 18 | durch welche Ordnung das Erkenntniß deutlich wird. - Man sieht wohl, | ||||||
| 19 | daß, wenn das Vermögen der Erkenntniß überhaupt Verstand (in | ||||||
| 20 | der allgemeinsten Bedeutung des Worts) heißen soll, dieser das Auffassungsvermögen | ||||||
| 21 | ( attentio ) gegebener Vorstellungen, um Anschauung, | ||||||
| 22 | das Absonderungsvermögen dessen, was mehreren gemein ist | ||||||
| 23 | ( abstractio ), um Begriff, und das Überlegungsvermögen ( reflexio ), | ||||||
| 24 | um Erkenntniß des Gegenstandes hervorzubringen, enthalten müsse. | ||||||
| 25 | Man nennt den, welcher diese Vermögen im vorzüglichen Grade besitzt, | ||||||
| 26 | einen Kopf; den, dem sie in sehr kleinem Maß beschert sind, einen | ||||||
| 27 | Pinsel (weil er immer von Andern geführt zu werden bedarf); den aber, | ||||||
| 28 | der sogar Originalität im Gebrauch desselben bei sich führt (Kraft deren | ||||||
| 29 | er, was gewöhnlicherweise unter fremder Leitung gelernt werden muß, aus | ||||||
| 30 | sich selbst hervorbringt), ein Genie. | ||||||
| 31 | Der nichts gelernt hat, was man doch gelehrt werden muß, um es | ||||||
| 32 | zu wissen, heißt ein Ignorant, wenn er es hätte wissen sollen, so fern | ||||||
| 33 | er einen Gelehrten vorstellen will; denn ohne diesen Anspruch kann er ein | ||||||
| 34 | großes Genie sein. Der, welcher nicht selbst denken, wenn gleich viel | ||||||
| 35 | lernen kann, wird ein beschränkter Kopf (bornirt) genannt. - Man | ||||||
| 36 | kann ein vaster Gelehrter (Maschine zur Unterweisung anderer, wie | ||||||
| 37 | man selbst unterwiesen worden) und in Ansehung des vernünftigen Gebrauchs | ||||||
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