Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 443 |
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Text (Kant):
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| 02 | In Ansehung des Schönen, obgleich Leblosen in der Natur ist ein | ||||||
| 03 | Hang zum bloßen Zerstören ( spiritus destructionis ) der Pflicht des Menschen | ||||||
| 04 | gegen sich selbst zuwider: weil es dasjenige Gefühl im Menschen | ||||||
| 05 | schwächt oder vertilgt, was zwar nicht für sich allein schon moralisch ist, | ||||||
| 06 | aber doch diejenige Stimmung der Sinnlichkeit, welche die Moralität sehr | ||||||
| 07 | befördert, wenigstens dazu vorbereitet, nämlich etwas auch ohne Absicht | ||||||
| 08 | auf Nutzen zu lieben (z. B. die schöne Krystallisationen, das unbeschreiblich | ||||||
| 09 | Schöne des Gewächsreichs). | ||||||
| 10 | In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Theils der Geschöpfe | ||||||
| 11 | ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer | ||||||
| 12 | Behandlung der Thiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst | ||||||
| 13 | weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem | ||||||
| 14 | Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse | ||||||
| 15 | zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt | ||||||
| 16 | und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) | ||||||
| 17 | Tödtung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte | ||||||
| 18 | Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen | ||||||
| 19 | müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die | ||||||
| 20 | martervolle physische Versuche zum bloßen Behuf der Speculation, wenn | ||||||
| 21 | auch ohne sie der Zweck nicht erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind. | ||||||
| 22 | Selbst die Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder | ||||||
| 23 | Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären) gehört indirect zur | ||||||
| 24 | Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Thiere, direct aber | ||||||
| 25 | betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst. | ||||||
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| 27 | In Ansehung dessen, was ganz über unsere Erfahrungsgränze hinaus | ||||||
| 28 | liegt, aber doch seiner Möglichkeit nach in unseren Ideen angetroffen | ||||||
| 29 | wird, z. B. der Idee von Gott, haben wir eben so wohl auch eine Pflicht, | ||||||
| 30 | welche Religionspflicht genannt wird, die nämlich " der Erkenntniß | ||||||
| 31 | aller unserer Pflichten als ( instar ) göttlicher Gebote." Aber dieses ist | ||||||
| 32 | nicht das Bewußtsein einer Pflicht gegen Gott. Denn da diese Idee | ||||||
| 33 | ganz aus unserer eigenen Vernunft hervorgeht und von uns, es sei in | ||||||
| 34 | theoretischer Absicht, um sich die Zweckmäßigkeit im Weltganzen zu erklären, | ||||||
| 35 | oder auch um zur Triebfeder in unserem Verhalten zu dienen, | ||||||
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