Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 306 |
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Text (Kant):
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| 01 | Rechts theilhaftig werden kann, und das formale Princip der Möglichkeit | ||||||
| 02 | desselben, nach der Idee eines allgemein gesetzgebenden Willens betrachtet, | ||||||
| 03 | heißt die öffentliche Gerechtigkeit, welche in Beziehung entweder | ||||||
| 04 | auf die Möglichkeit, oder Wirklichkeit, oder Nothwendigkeit des Besitzes | ||||||
| 05 | der Gegenstände (als der Materie der Willkür) nach Gesetzen in die beschützende | ||||||
| 06 | ( iustitia tutatrix ), die wechselseitig erwerbende ( iustitia | ||||||
| 07 | commutativa ) und die austheilende Gerechtigkeit ( iustitia distributiva ) | ||||||
| 08 | eingetheilt werden kann. - Das Gesetz sagt hiebei erstens bloß, | ||||||
| 09 | welches Verhalten innerlich der Form nach recht ist ( lex iusti ); zweitens, | ||||||
| 10 | was als Materie noch auch äußerlich gesetzfähig, d. i. dessen Besitzstand | ||||||
| 11 | rechtlich ist ( lex iuridica ); drittens, was und wovon der Ausspruch | ||||||
| 12 | vor einem Gerichtshofe in einem besonderen Falle unter dem gegebenen | ||||||
| 13 | Gesetze diesem gemäß, d. i. Rechtens ist ( lex iustitiae ), wo man denn | ||||||
| 14 | auch jenen Gerichtshof selbst die Gerechtigkeit eines Landes nennt, | ||||||
| 15 | und, ob eine solche sei oder nicht sei, als die wichtigste unter allen rechtlichen | ||||||
| 16 | Angelegenheiten gefragt werden kann. | ||||||
| 17 | Der nicht=rechtliche Zustand, d. i. derjenige, in welchem keine austheilende | ||||||
| 18 | Gerechtigkeit ist, heißt der natürliche Zustand ( status naturalis ). | ||||||
| 19 | Ihm wird nicht der gesellschaftliche Zustand (wie Achenwall meint), | ||||||
| 20 | und der ein künstlicher ( status artificialis ) heißen könnte, sondern der | ||||||
| 21 | bürgerliche ( status civilis ) einer unter einer distributiven Gerechtigkeit | ||||||
| 22 | stehenden Gesellschaft entgegen gesetzt; denn es kann auch im Naturzustande | ||||||
| 23 | rechtmäßige Gesellschaften (z. B. eheliche, väterliche, häusliche überhaupt | ||||||
| 24 | und andere beliebige mehr) geben, von denen kein Gesetz a priori gilt: | ||||||
| 25 | "Du sollst in diesen Zustand treten", wie es wohl vom rechtlichen Zustande | ||||||
| 26 | gesagt werden kann, daß alle Menschen, die mit einander (auch | ||||||
| 27 | unwillkürlich) in Rechtsverhältnisse kommen können, in diesen Zustand | ||||||
| 28 | treten sollen. | ||||||
| 29 | Man kann den ersteren und zweiten Zustand den des Privatrechts, | ||||||
| 30 | den letzteren und dritten aber den des öffentlichen Rechts nennen. | ||||||
| 31 | Dieses enthält nicht mehr oder andere Pflichten der Menschen unter sich, | ||||||
| 32 | als in jenem gedacht werden können; die Materie des Privatrechts ist | ||||||
| 33 | eben dieselbe in beiden. Die Gesetze des letzteren betreffen also nur die | ||||||
| 34 | rechtliche Form ihres Beisammenseins (Verfassung), in Ansehung deren | ||||||
| 35 | diese Gesetze nothwendig als öffentliche gedacht werden müssen. | ||||||
| 36 | Selbst der bürgerliche Verein ( unio civilis ) kann nicht wohl eine | ||||||
| 37 | Gesellschaft genannt werden; denn zwischen dem Befehlshaber ( imperans ) | ||||||
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