Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 232 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 |
|
||||||
| 02 |
|
||||||
| 03 |
|
||||||
| 04 |
|
||||||
| 05 |
|
||||||
| 06 | Dieser Satz will so viel sagen als: das Recht darf nicht als aus zwei | ||||||
| 07 | Stücken, nämlich der Verbindlichkeit nach einem Gesetze und der Befugniß | ||||||
| 08 | dessen, der durch seine Willkür den andern verbindet, diesen dazu zu | ||||||
| 09 | zwingen, zusammengesetzt gedacht werden, sondern man kann den Begriff | ||||||
| 10 | des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen | ||||||
| 11 | Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen. So wie | ||||||
| 12 | nämlich das Recht überhaupt nur das zum Objecte hat, was in Handlungen | ||||||
| 13 | äußerlich ist, so ist das stricte Recht, nämlich das, dem nichts | ||||||
| 14 | Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches keine andern Bestimmungsgründe | ||||||
| 15 | der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ist es rein | ||||||
| 16 | und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Ein strictes (enges) Recht | ||||||
| 17 | kann man also nur das völlig äußere nennen. Dieses gründet sich nun | ||||||
| 18 | zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; | ||||||
| 19 | aber die Willkür darnach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es | ||||||
| 20 | rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, | ||||||
| 21 | sondern fußt sich deshalb auf dem Princip der Möglichkeit eines äußeren | ||||||
| 22 | Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen | ||||||
| 23 | zusammen bestehen kann. - Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger hat | ||||||
| 24 | ein Recht von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so | ||||||
| 25 | bedeutet das nicht, er kann ihm zu Gemüthe führen, daß ihn seine Vernunft | ||||||
| 26 | selbst zu dieser Leistung verbinde, sondern ein Zwang, der jedermann | ||||||
| 27 | nöthigt dieses zu thun, kann gar wohl mit jedermanns Freiheit, | ||||||
| 28 | also auch mit der seinigen nach einem allgemeinen äußeren Gesetze zusammen | ||||||
| 29 | bestehen: Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei. | ||||||
| 30 | Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden | ||||||
| 31 | wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der | ||||||
| 32 | allgemeinen Freiheit ist gleichsam die Construction jenes Begriffs, | ||||||
| 33 | d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach | ||||||
| 34 | der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter | ||||||
| 35 | dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung. | ||||||
| [ Seite 231 ] [ Seite 233 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||