Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 156 |
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| 01 | öffentlich bekannt gemacht worden, forthin jedermann sich von dieser ihrer | ||||||
| 02 | Wahrheit durch sich selbst und seine eigene Vernunft überzeugen kann. | ||||||
| 03 | In diesem Falle ist die Religion objectiv eine natürliche, obwohl subjectiv | ||||||
| 04 | eine geoffenbarte; weshalb ihr auch der erstere Namen eigentlich | ||||||
| 05 | gebührt. Denn es könnte in der Folge allenfalls gänzlich in Vergessenheit | ||||||
| 06 | kommen, daß eine solche übernatürliche Offenbarung je vorgegangen | ||||||
| 07 | sei, ohne daß dabei jene Religion doch das mindeste weder an ihrer | ||||||
| 08 | Faßlichkeit, noch an Gewißheit, noch an ihrer Kraft über die Gemüther | ||||||
| 09 | verlöre. Mit der Religion aber, die ihrer innern Beschaffenheit wegen | ||||||
| 10 | nur als geoffenbart angesehen werden kann, ist es anders bewandt. Wenn | ||||||
| 11 | sie nicht in einer ganz sichern Tradition oder in heiligen Büchern als | ||||||
| 12 | Urkunden aufbehalten würde, so würde sie aus der Welt verschwinden, | ||||||
| 13 | und es müßte entweder eine von Zeit zu Zeit öffentlich wiederholte, oder | ||||||
| 14 | in jedem Menschen innerlich eine continuirlich fortdauernde übernatürliche | ||||||
| 15 | Offenbarung vorgehen, ohne welche die Ausbreitung und Fortpflanzung | ||||||
| 16 | eines solchen Glaubens nicht möglich sein würde. | ||||||
| 17 | Aber einem Theile nach wenigstens muß jede, selbst die geoffenbarte | ||||||
| 18 | Religion doch auch gewisse Principien der natürlichen enthalten. Denn | ||||||
| 19 | Offenbarung kann zum Begriff einer Religion nur durch die Vernunft | ||||||
| 20 | hinzugedacht werden, weil dieser Begriff selbst, als von einer Verbindlichkeit | ||||||
| 21 | unter dem Willen eines moralischen Gesetzgebers abgeleitet, ein | ||||||
| 22 | reiner Vernunftbegriff ist. Also werden wir selbst eine geoffenbarte | ||||||
| 23 | Religion einerseits noch als natürliche, andererseits aber als gelehrte | ||||||
| 24 | Religion betrachten, prüfen und, was oder wie viel ihr von der einen | ||||||
| 25 | oder der andern Quelle zustehe, unterscheiden können. | ||||||
| 26 | Es läßt sich aber, wenn wir von einer geoffenbarten (wenigstens | ||||||
| 27 | einer dafür angenommenen) Religion zu reden die Absicht haben, dieses | ||||||
| 28 | nicht wohl thun, ohne irgend ein Beispiel davon aus der Geschichte herzunehmen, | ||||||
| 29 | weil wir uns doch Fälle als Beispiele erdenken müßten, um | ||||||
| 30 | verständlich zu werden, welcher Fälle Möglichkeit uns aber sonst bestritten | ||||||
| 31 | werden könnte. Wir können aber nicht besser thun, als irgend ein Buch, | ||||||
| 32 | welches dergleichen enthält, vornehmlich ein solches, welches mit sittlichen, | ||||||
| 33 | folglich mit vernunftverwandten Lehren innigst verwebt ist, zum Zwischenmittel | ||||||
| 34 | der Erläuterungen unserer Idee einer geoffenbarten Religion | ||||||
| 35 | überhaupt zur Hand zu nehmen, welches wir dann, als eines von den | ||||||
| 36 | mancherlei Büchern, die von Religion und Tugend unter dem Credit | ||||||
| 37 | einer Offenbarung handeln, zum Beispiele des an sich nützlichen Verfahrens, | ||||||
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