|  |  | Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 153 |  |  |  | 
|  |  |  |  |  |  | 
|  | Zeile:   | Text (Kant):   |        |     |  | 
|  | 01 | haben; nur werden sie so fern nicht Diener einer Kirche (einer sichtbaren |  |  |  | 
|  | 02 | nämlich, von der allein hier die Rede ist) heißen können. - Weil indessen |  |  |  | 
|  | 03 | jede auf statutarischen Gesetzen errichtete Kirche nur so fern die wahre |  |  |  | 
|  | 04 | sein kann, als sie in sich ein Princip enthält, sich dem reinen Vernunftglauben |  |  |  | 
|  | 05 | (als demjenigen, der, wenn er praktisch ist, in jedem Glauben |  |  |  | 
|  | 06 | eigentlich die Religion ausmacht) beständig zu nähern und den Kirchenglauben |  |  |  | 
|  | 07 | (nach dem, was in ihm historisch ist) mit der Zeit entbehren zu |  |  |  | 
|  | 08 | können, so werden wir in diesen Gesetzen und an den Beamten der darauf |  |  |  | 
|  | 09 | gegründeten Kirche doch einen Dienst ( cultus ) der Kirche sofern setzen |  |  |  | 
|  | 10 | können, als diese ihre Lehren und Anordnung jederzeit auf jenen letzten |  |  |  | 
|  | 11 | Zweck (einen öffentlichen Religionsglauben) richten. Im Gegentheil werden |  |  |  | 
|  | 12 | die Diener einer Kirche, welche darauf gar nicht Rücksicht nehmen, vielmehr |  |  |  | 
|  | 13 | die Maxime der continuirlichen Annäherung zu demselben für verdammlich, |  |  |  | 
|  | 14 | die Anhänglichkeit aber an den historischen und statutarischen |  |  |  | 
|  | 15 | Theil des Kirchenglaubens für allein seligmachend erklären, des Afterdienstes |  |  |  | 
|  | 16 | der Kirche oder (dessen, was durch diese vorgestellt wird) des |  |  |  | 
|  | 17 | ethischen gemeinen Wesens unter der Herrschaft des guten Princips mit |  |  |  | 
|  | 18 | Recht beschuldigt werden können. - Unter einem Afterdienst ( cultus |  |  |  | 
|  | 19 | spurius ) wird die Überredung jemanden durch solche Handlungen zu dienen |  |  |  | 
|  | 20 | verstanden, die in der That dieses seine Absicht rückgängig zu machen. Das |  |  |  | 
|  | 21 | geschieht aber in einem gemeinen Wesen dadurch, daß, was nur den Werth |  |  |  | 
|  | 22 | eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu thun, für |  |  |  | 
|  | 23 | dasjenige ausgegeben und an die Stelle dessen gesetzt wird, was uns ihm |  |  |  | 
|  | 24 | unmittelbar wohlgefällig mache; wodurch dann die Absicht des letzteren |  |  |  | 
|  | 25 | vereitelt wird. |  |  |  | 
|  |  |  |  |  |  | 
|  | 26 |  Erster Theil.  |  |  |  | 
|  | 27 |  Vom Dienst Gottes in einer Religion überhaupt.  |  |  |  | 
|  |  |  |  |  |  | 
|  | 28 | Religion ist (subjectiv betrachtet) das Erkenntniß aller unserer |  |  |  | 
|  | 29 | Pflichten als göttlicher Gebote *). Diejenige, in welcher ich vorher wissen |  |  |  | 
|  |  |  |  |  |  | 
|  |  | *) Durch diese Definition wird mancher fehlerhaften Deutung des Begriffs  einer Religion überhaupt vorgebeugt. Erstlich: daß in ihr, was das theoretische  Erkenntniß und Bekenntniß betrifft, kein assertorisches Wissen (selbst des Daseins  Gottes nicht) gefordert wird, weil bei dem Mangel unserer Einsicht übersinnlicher  Gegenstände dieses Bekenntniß schon geheuchelt sein könnte; sondern nur ein der  Speculation nach über die oberste Ursache der Dinge problematisches Annehmen  [Seitenumbruch] (Hypothesis), in Ansehung des Gegenstandes aber, wohin uns unsere moralisch  gebietende Vernunft zu wirken anweiset, ein dieser ihrer Endabsicht Effect verheißendes  praktisches, mithin freies assertorisches Glauben vorausgesetzt wird,  welches nur der Idee von Gott, auf die alle moralische ernstliche (und darum  gläubige) Bearbeitung zum Guten unvermeidlich gerathen muß, bedarf, ohne sich  anzumaßen, ihr durch theoretische Erkenntniß die objective Realität sichern zu können.  Zu dem, was jedem Menschen zur Pflicht gemacht werden kann, muß das Minimum  der Erkenntniß (es ist möglich, daß ein Gott sei) subjectiv schon hinreichend  sein. Zweitens wird durch diese Definition einer Religion überhaupt der irrigen  Vorstellung, als sei sie ein Inbegriff besonderer, auf Gott unmittelbar bezogener  Pflichten, vorgebeugt und dadurch verhütet, daß wir nicht (wie dazu Menschen  ohnedem sehr geneigt sind) außer den ethisch=bürgerlichen Menschenpflichten (von  Menschen gegen Menschen) noch Hofdienste annehmen und hernach wohl gar die  Ermangelung in Ansehung der ersteren durch die letztere gut zu machen suchen.  Es giebt keine besondere Pflichten gegen Gott in einer allgemeinen Religion;  denn Gott kann von uns nichts empfangen; wir können auf und für ihn nicht  wirken. Wollte man die schuldige Ehrfurcht gegen ihn zu einer solchen Pflicht  machen, so bedenkt man nicht, daß diese nicht eine besondere Handlung der Religion,  sondern die religiöse Gesinnung bei allen unsern pflichtmäßigen Handlungen  überhaupt sei. Wenn es auch heißt: "Man soll Gott mehr gehorchen als den  Menschen", so bedeutet das nichts anders als: wenn statutarische Gebote, in Ansehung  deren Menschen Gesetzgeber und Richter sein können, mit Pflichten, die die  Vernunft unbedingt vorschreibt, und über deren Befolgung oder Übertretung Gott  allein Richter sein kann, in Streit kommen, so muß jener ihr Ansehn diesen weichen.  Wollte man aber unter dem, worin Gott mehr als dem Menschen gehorcht werden  muß, die statutarischen, von einer Kirche dafür ausgegebenen Gebote Gottes verstehen:  so würde jener Grundsatz leichtlich das mehrmals gehörte Feldgeschrei  heuchlerischer und herrschsüchtiger Pfaffen zum Aufruhr wider ihre bürgerliche  Obrigkeit werden können. Denn das Erlaubte, was die letztere gebietet, ist gewiß Pflicht: ob aber etwas zwar an sich Erlaubtes, aber nur durch göttliche Offenbarung  für uns Erkennbares wirklich von Gott geboten sei, ist (wenigstens größtentheils)  höchst ungewiß. |  |  |  | 
|  |  |  |  |  |  | 
|  |  | [ Seite 152 ] [ Seite 154 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |  |  |  |