Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 144

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einigen geschieht, andre doch davon ausgeschlossen bleiben, - hat uns      
  02 Gott nichts offenbart und kann uns auch nichts offenbaren, weil wir es      
  03 doch nicht verstehen ) würden. Es wäre, als wenn wir das, was geschieht,      
  04 am Menschen aus seiner Freiheit erklären und uns begreiflich      
  05 machen wollten, darüber Gott zwar durchs moralische Gesetz in uns      
  06 seinen Willen offenbart hat, die Ursachen aber, aus welchen eine freie      
  07 Handlung auf Erden geschehe oder auch nicht geschehe, in demjenigen      
  08 Dunkel gelassen hat, in welchem für menschliche Nachforschung alles bleiben      
  09 muß, was als Geschichte doch auch aus der Freiheit nach dem Gesetze      
  10 der Ursachen uns Wirkungen begriffen werden soll ). Über die objective      
  11 Regel unsers Verhaltens aber ist uns alles, was wir bedürfen, (durch      
  12 Vernunft und Schrift) hinreichend offenbart, und diese Offenbarung ist      
  13 zugleich für jeden Menschen verständlich.      
           
  14 Daß der Mensch durchs moralische Gesetz zum guten Lebenswandel      
  15 berufen sei, daß er durch unauslöschliche Achtung für dasselbe, die in ihm      
  16 liegt, auch zum Zutrauen gegen diesen guten Geist und zur Hoffnung, ihm,      
  17 wie es auch zugehe, genug thun zu können, Verheißung in sich finde, endlich,      
  18 daß er, die letztere Erwartung mit dem strengen Gebot des erstern zusammenhaltend,      
           
    *†) Man trägt gemeiniglich kein Bedenken, den Lehrlingen der Religion den Glauben an Geheimnisse zuzumuthen, weil, daß wir sie nicht begreifen, d. i. die Möglichkeit des Gegenstandes derselben nicht einsehen können, uns eben so wenig zur Weigerung ihrer Annahme berechtigen könne, als etwa das Fortpflanzungsvermögen organischer Materien, was auch kein Mensch begreift und darum doch nicht anzunehmen geweigert werden kann, ob es gleich ein Geheimniß für uns ist und bleiben wird. Aber wir verstehen doch sehr wohl, was dieser Ausdruck sagen wolle, und haben einen empirischen Begriff von dem Gegenstande mit Bewußtsein, daß darin kein Widerspruch sei. - Von einem jeden zum Glauben aufgestellten Geheimnisse kann man nun mit Recht fordern, daß man verstehe, was unter demselben gemeint sei; welches nicht dadurch geschieht, daß man die Wörter, wodurch es angedeutet wird, einzeln versteht, d. i. damit einen Sinn verbindet, sondern daß sie, zusammen in einen Begriff gefaßt, noch einen Sinn zulassen müssen und nicht etwa dabei alles Denken ausgehe. - Daß, wenn man seinerseits es nur nicht am ernstlichen Wunsch ermangeln läßt, Gott dieses Erkenntniß uns wohl durch Eingebung zukommen lassen könne, läßt sich nicht denken; denn es kann uns gar nicht inhäriren, weil die Natur unseres Verstandes dessen unfähig ist.      
           
    ††) Daher wir, was Freiheit sei, in praktischer Beziehung (wenn von Pflicht die Rede ist) gar wohl verstehen, in theoretischer Absicht aber, was die Causalität derselben (gleichsam ihre Natur) betrifft, ohne Widerspruch nicht einmal daran denken können, sie verstehen zu wollen.      
           
     

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