Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 027 |
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| 01 | der Natur heißen und werden in ihrer höchsten Abweichung vom | ||||||
| 02 | Naturzwecke viehische Laster der Völlerei, der Wollust und der | ||||||
| 03 | wilden Gesetzlosigkeit (im Verhältnisse zu andern Menschen) genannt. | ||||||
| 04 | 2. Die Anlagen für die Menschheit können auf den allgemeinen | ||||||
| 05 | Titel der zwar physischen, aber doch vergleichenden Selbstliebe (wozu | ||||||
| 06 | Vernunft erfordert wird) gebracht werden: sich nämlich nur in Vergleichung | ||||||
| 07 | mit andern als glücklich oder unglücklich zu beurtheilen. Von ihr rührt | ||||||
| 08 | die Neigung her, sich in der Meinung anderer einen Werth zu | ||||||
| 09 | verschaffen; und zwar ursprünglich bloß den der Gleichheit: keinem | ||||||
| 10 | über sich Überlegenheit zu verstatten, mit einer beständigen Besorgniß verbunden, | ||||||
| 11 | daß andere darnach streben möchten; woraus nachgerade eine ungerechte | ||||||
| 12 | Begierde entspringt, sie sich über Andere zu erwerben. - Hierauf, | ||||||
| 13 | nämlich auf Eifersucht und Nebenbuhlerei, können die größten Laster | ||||||
| 14 | geheimer und offenbarer Feindseligkeiten gegen Alle, die wir als für uns | ||||||
| 15 | fremde ansehen, gepfropft werden: die eigentlich doch nicht aus der Natur | ||||||
| 16 | als ihrer Wurzel von selbst entsprießen; sondern bei der besorgten Bewerbung | ||||||
| 17 | anderer zu einer uns verhaßten Überlegenheit über uns Neigungen | ||||||
| 18 | sind, sich der Sicherheit halber diese über andere als Vorbauungsmittel | ||||||
| 19 | selbst zu verschaffen: da die Natur doch die Idee eines solchen Wetteifers | ||||||
| 20 | (der an sich die Wechselliebe nicht ausschließt) nur als Triebfeder | ||||||
| 21 | zur Cultur brauchen wollte. Die Laster, die auf diese Neigung gepfropft | ||||||
| 22 | werden, können daher auch Laster der Cultur heißen und werden im | ||||||
| 23 | höchsten Grade ihrer Bösartigkeit (da sie alsdann bloß die Idee eines | ||||||
| 24 | Maximum des Bösen sind, welches die Menschheit übersteigt), z. B. im | ||||||
| 25 | Neide, in der Undankbarkeit, der Schadenfreude u. s. w., teuflische | ||||||
| 26 | Laster genannt. | ||||||
| 27 | 3. Die Anlage für die Persönlichkeit ist die Empfänglichkeit der | ||||||
| 28 | Achtung für das moralische Gesetz, als einer für sich hinreichenden | ||||||
| 29 | Triebfeder der Willkür. Die Empfänglichkeit der bloßen Achtung für | ||||||
| 30 | das moralische Gesetz in uns wäre das moralische Gefühl, welches für sich | ||||||
| 31 | noch nicht einen Zweck der Naturanlage ausmacht, sondern nur sofern es | ||||||
| 32 | Triebfeder der Willkür ist. Da dieses nun lediglich dadurch möglich wird, | ||||||
| 33 | daß die freie Willkür es in ihre Maxime aufnimmt: so ist Beschaffenheit | ||||||
| 34 | einer solchen Willkür der gute Charakter, welcher wie überhaupt jeder Charakter | ||||||
| 35 | der freien Willkür etwas ist, das nur erworben werden kann, zu | ||||||
| 36 | dessen Möglichkeit aber dennoch eine Anlage in unserer Natur vorhanden | ||||||
| 37 | sein muß, worauf schlechterdings nichts Böses gepfropft werden kann. Die | ||||||
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