Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 519

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 in Ansehung des Grades, womit sie auf einen jeden in gewisser Weite gegebenen      
  02 Punkt bewegende Kraft ausübt, nur durch die Größe des Raumes, in welchem sie      
  03 sich ausbreiten muß, um auf jenen Punkt zu wirken, eingeschränkt wird, kann man      
  04 sagen: daß sie in allen Räumen, in die sie sich verbreitet, so klein oder so groß sie auch      
  05 sein mögen, immer ein gleiches Quantum ausmache, daß aber der Grad ihrer      
  06 Wirkung auf jenen Punkt in diesem Raume jederzeit im umgekehrten Verhältniß      
  07 des Raumes stehe, in welchen sie sich hat verbreiten müssen, um auf ihn wirken zu      
  08 können. So breitet sich z. B. von einem leuchtenden Punkt das Licht allerwärts      
  09 in Kugelflächen aus, die mit den Quadraten der Entfernung immer wachsen, und      
  10 das Quantum der Erleuchtung ist in allen diesen ins Unendliche größeren Kugelflächen      
  11 im Ganzen immer dasselbe, woraus aber folgt: daß ein in dieser Kugelfläche      
  12 angenommener gleicher Theil dem Grade nach desto weniger erleuchtet sein müsse,      
  13 als jene Fläche der Verbreitung eben desselben Lichtquantum größer ist, und so bei      
  14 allen anderen Kräften und Gesetzen, nach welchen sie sich entweder in Flächen, oder      
  15 auch körperlichen Raum verbreiten müssen, um ihrer Natur nach auf entfernte      
  16 Gegenstände zu wirken. Es ist besser, die Verbreitung einer bewegenden Kraft aus      
  17 einem Punkt in alle Weiten so vorzustellen, als auf die gewöhnliche Art, wie es      
  18 unter andern in der Optik geschieht, durch von einem Mittelpunkt auseinander      
  19 laufende Cirkelstrahlen. Denn da auf solche Art gezogene Linien niemals den      
  20 Raum, durch den sie gehen, und also auch nicht die Fläche, auf die sie treffen, füllen      
  21 können, so viel deren auch gezogen oder angelegt werden, welches die unvermeidliche      
  22 Folge ihrer Divergenz ist, so geben sie nur zu beschwerlichen Folgerungen, diese aber      
  23 zu Hypothesen Anlaß, die gar wohl vermieden werden könnten, wenn man blos die      
  24 Größe der ganzen Kugelfläche in Betrachtung zöge, die von derselben Quantität      
  25 Licht gleichförmig erleuchtet werden soll, und den Grad der Erleuchtung derselben      
  26 in jeder Stelle wie natürlich in umgekehrtem Verhältnisse ihrer Größe zum Ganzen      
  27 nimmt, und so bei aller anderen Verbreitung einer Kraft durch Räume von verschiedener      
  28 Größe.      
           
  29 2) Wenn die Kraft eine unmittelbare Anziehung in der Ferne ist, so müssen um      
  30 desto mehr die Richtungslinien der Anziehung nicht, als ob sie von dem ziehenden      
  31 Punkte wie Strahlen ausliefen, sondern so wie sie von allen Punkten der umgebenden      
  32 Kugelfläche (deren Halbmesser jene gegebene Weite ist) zum ziehenden Punkt      
  33 zusammenlaufen, vorgestellt werden. Denn selbst die Richtungslinie der Bewegung      
  34 zum Punkte hin, der die Ursache und Ziel derselben ist, giebt schon den terminus a      
  35 quo an, von wo die Linien anfangen müssen, nämlich von allen Punkten der Oberfläche,      
  36 von dem sie zum ziehenden Mittelpunkte und nicht umgekehrt ihre Richtung      
  37 haben: denn jene Größe der Fläche bestimmt allein die Menge der Linien, der Mittelpunkt      
  38 läßt sie unbestimmt.*)      
           
           
    *) Es ist unmöglich nach Linien, die sich strahlenweise aus einem Punkte ausbreiten, Flächen in gegebenen Entfernungen als mit der Wirkung derselben, sie sei [Seitenumbruch] Erleuchtung oder Anziehung, ganz erfüllt vorzustellen. So würde bei solchen auslaufenden Lichtstrahlen die geringere Erleuchtung einer entfernten Fläche blos darauf beruhen, daß zwischen den erleuchteten Stellen unerleuchtete und diese desto größer, je weiter die Fläche entfernt, übrig bleiben. Eulers Hypothese vermeidet diese Unschicklichkeit, hat aber freilich desto mehr Schwierigkeit die geradlinichte Bewegung des Lichts begreiflich zu machen. Diese Schwierigkeit aber rührt von einer gar wohl vermeidlichen mathematischen Vorstellung der Lichtmaterie als einer Anhäufung von Kügelchen her, die freilich nach ihrer verschiedentlich schiefen Lage gegen die Richtung des Stoßes Seitenbewegung des Lichts geben würde, da an dessen Statt nichts hindert, diese Materie als ein ursprünglich Flüssiges und zwar durch und durch, ohne in feste Körperchen zertheilt zu sein, zu denken. Will der Mathematiker die Abnahme des Lichts bei zunehmender Entfernung anschaulich machen, so bedient er sich auslaufender Cirkelstrahlen, um auf der Kugelfläche ihrer Verbreitung die Größe des Raumes, darin dieselbe Quantität des Lichts zwischen diesen Cirkelstrahlen gleichförmig verbreitet werden soll, mithin die Verringerung des Grades der Erleuchtung darzustellen; er will aber nicht, daß man diese Strahlen als die einzig erleuchtenden ansehen solle, gleich als ob immer lichtleere Plätze, die bei größerer Weite größer würden, zwischen ihnen anzutreffen wären. Will man jede solcher Flächen als durchaus erleuchtet sich vorstellen, so muß dieselbe Quantität der Erleuchtung, die die kleinere bedeckt, auf der größeren als gleichförmig gedacht werden, und müssen also, um die geradlinichte Richtung anzuzeigen, von der Fläche und allen ihren Punkten zu dem leuchtenden gerade Linien gezogen werden. Die Wirkung und ihre Größe muß vorher gedacht sein und darauf die Ursache verzeichnet werden. Eben dieses gilt von den Anziehungsstrahlen, wenn man sie so nennen will, ja von allen Richtungen der Kräfte, die von einem Punkte aus einen Raum, und wäre er auch ein körperlicher, erfüllen sollen.      
           
     

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